Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

so sehr wie Menschenkinder, aber ihre generelle Neugier, gepaart mit dem Lob ihrer Besitzer, motiviert sie, die Möglichkeiten der Schrift zu erforschen. Derek findet das sehr aufregend und bedauert, dass Blue Gamma nicht lange genug im Geschäft geblieben ist, um all das mitzuerleben.
    Sie erreichen den Park; Ana sieht sie und kommt herübergeschlendert, während Derek einparkt. Sobald Derek Marco aussteigen lässt, umarmt Marco Ana. »Hi, Ana.«
    »Hi, Marco«, sagt Ana und tätschelt den Hinterkopf des Roboters. »Bist du immer noch in dem Körper? Du hattest ihn doch schon eine ganze Woche. War das nicht genug?«
    »Wollte Auto fahren.«
    »Möchtest du ein bisschen im Park spielen?«
    »Nein, wir jetzt gehen. Wendy nicht will, dass wir bleiben. Tschüss, Ana.« Inzwischen hat Derek die Ladeplattform für den Roboter vom Rücksitz gehievt. Marco steigt auf die Plattform – sie haben den Digis beigebracht, jedes Mal dorthin zu gehen, wenn sie zu Erde 2 zurückkehren –, und der Helm des Roboters wird dunkel.
    Ana benutzt ihren Tabletcomputer, um das erste Digi für den Roboterkörper bereitzumachen. »Du musst also auch weg?«, fragt sie Derek.
    »Nein, ich muss nirgendwohin.«
    »Was hat Marco dann gemeint?«
    »Also …«
    »Lass mich raten: Wendy findet, dass du zu viel Zeit mit den Digis verbringst, stimmt’s?«
    »Stimmt«, sagt Derek. Wendy ist es auch nicht recht, wie viel Zeit er mit Ana verbringt, aber es hat keinen Sinn, das zu erwähnen. Er hat Wendy bereits versichert, dass er nicht auf diese Weise an Ana denkt, dass sie nur Freunde mit einem gemeinsamen Interesse für Digis sind.
    Die LEDs des Roboters leuchten auf und zeigen das Gesicht eines Jaguarjungen; Derek erkennt Zaff, der einem der Beta-Tester gehört. »Hi, Ana, hi, Derek«, sagt Zaff und rennt sofort auf einen in der Nähe stehenden Baum zu. Derek und Ana folgen ihm.
    »Dann hat es also nicht geholfen, dass sie ihn in dem Roboterkörper gesehen hat?«, fragt Ana.
    Derek hindert Zaff daran, Hundehaufen aufzusammeln. An Ana gewandt sagt er: »Nein. Sie versteht immer noch nicht, warum ich die Digis nicht je nach Bedarf in den Ruhezustand versetze.«
    »Es gibt kaum jemanden, der das versteht«, sagt Ana. »Als ich noch im Zoo gearbeitet habe, war es genauso; jeder Mann, mit dem ich zusammen war, hatte das Gefühl, die zweite Geige zu spielen. Und wenn ich jetzt einem erzähle, dass ich meinem Digi Leseunterricht bezahle, schaut er mich an, als wäre ich völlig durchgeknallt.«
    »Für Wendy war das auch ein Problem.«
    Sie schauen zu, wie Zaff das trockene Laub auseinanderklaubt und ein Blatt herauszieht, dessen Verfall so weit fortgeschritten ist, dass es beinahe durchsichtig wirkt. Er hält es sich vor das Gesicht, um hindurchzusehen, wie eine Maske aus pflanzlicher Spitze. »Obwohl ich ihnen wohl keinen Vorwurf machen sollte«, meint Ana. »Ich habe selbst eine Weile gebraucht, um zu verstehen, was daran so besonders ist.«
    »Ich nicht«, sagt Derek. »Ich fand die Digis schon von Anfang an toll.«
    »Wohl wahr«, stimmt Ana ihm zu. »Du bist ein seltenes Exemplar.«
    Derek beobachtet sie mit Zaff und bewundert, wie viel Geduld sie mit ihm hat. So viel Gemeinsamkeit mit einer Frau hat er zum letzten Mal gespürt, als er Wendy kennengelernt hat, die sich genau wie er dafür begeisterte, gezeichnete Figuren durch Animation zum Leben zu erwecken. Wäre er nicht bereits verheiratet, würde er Ana vielleicht fragen, ob sie mit ihm ausgeht, aber es hat jetzt keinen Sinn, darüber zu grübeln. Sie können höchstens Freunde sein, und das genügt.

    Es ist ein Jahr später, und Ana verbringt den Abend in ihrer Wohnung. Auf ihrem Computer ist ein Erde 2 -Fenster geöffnet, wo ihr Avatar sich auf einem Spielplatz befindet und Jax und ein paar andere Digis betreut, die sich hier verabredet haben. Die Zahl der Digis schrumpft immer mehr zusammen – Tibo zum Beispiel ist schon seit Monaten nicht mehr hier gewesen –, aber Jax’ übliche Gruppe hat sich vor Kurzem mit einer anderen zusammengetan, sodass er immer noch neue Freundschaften schließen kann. Ein paar der Digis sind oben auf dem Klettergerüst, andere spielen unten mit Spielsachen, während zwei weitere virtuell fernsehen.
    In einem anderen Fenster liest sich Ana durch die Diskussionsforen der Usergruppen. Das Thema des Tages ist der neueste Coup der »Aktion Informationsfreiheit«, einer Organisation, die das Ende des privaten Datenbesitzes befürwortet. Letzte Woche hat die Gruppe