Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
Vom Netzwerk:
Seele, das Land zu verlassen, das er sein Leben lang gekannt hatte, und sich hinauszubegeben in die unberechenbare Weite des Ungesehenen, des Unvorstellbaren, des dunklen, aufgewühlten Meeres.
     
    »Du kannst doch«, kritisierte Mabon von Rhoden, nachdem er zu ihnen aufgeholt hatte, »nicht fünfhundert Mann den ganzen Tag ohne Rast vorwärtstreiben.«
    Sein Tonfall war gütig. Aileron hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass Levon diese Truppen befehligte, und Mabon hatte dagegen keinerlei Einwände erhoben. Doch Dave sah, dass Levon daraufhin kläglich grinste. »Ich weiß«, sagte er zu dem Herzog. »Ich hatte ja auch vor, anzuhalten. Es ist nur so, wir kommen immer näher, und … .«
    Der Herzog von Rhoden lächelte. »Ich verstehe. Es geht mir genauso, wann immer ich heimreite.« Mabon, hatte Dave entschieden, war in Ordnung. Der Herzog hatte seine besten Jahre hinter sich und war schwergewichtiger, als er hätte sein müssen, aber es war ihm leicht gefallen, mit den anderen Schritt zu halten, und in der vergangenen Nacht hatte er sich mit seiner Decke auf dem Gras zum Schlafen hingelegt wie ein alter Soldat.
    Levon schüttelte den Kopf, entrüstet über sich selber. Als sie eine Erhebung auf der gewellten Steppe erreichten, hob er die Hand, um Halt zu gebieten. Dave vernahm tiefempfundene Laute der Erleichterung, welche die Streitmacht hinter ihm durchlief.
    Auch er war dankbar für diese Rast. Er war nicht wie Levon und Torc oder gar diese Reiterscharen aus dem nördlichen Teil Brennins dazu geboren, im Sattel zu sitzen, und er war in den vergangenen paar Tagen unglaublich viel geritten.
    Er schwang sich vom Pferd und streckte die Beine aus. Machte ein paar Kniebeugen, berührte seine Zehen, wirbelte die Arme herum. Er bemerkte Torcs Blick und grinste. Es machte ihm nichts aus, wenn der dunkle Dalrei ihn neckte; Torc war ein Bruder. Er machte noch ein paar Liegestützen, direkt neben dem Tuch, auf dem Torc die Speisen ausbreitete. Er hörte, wie der Dalrei vor unterdrücktem Lachen grunzte. Dave rollte sich herum, spielte mit dem Gedanken, ein paar Kniebeugen zu machen, und entschloss sich stattdessen zu essen. Er nahm sich einen Streifen Eltorfleisch und ein Stück Brot aus Brennin. Er bestrich beides mit der senfähnlichen Soße, die die Dalrei so liebten, und lehnte sich, glücklich kauend, zurück.
    Es war Frühling. Die Vögel zogen ihre Bahn über ihnen, und die Brise, die aus Südosten herüberwehte, war mild und kühl. Das Gras kitzelte in seiner Nase, und er setzte sich auf, um sich ein Stück Käse zu nehmen. Torc hatte sich ebenfalls auf den Rücken gelegt und die Augen geschlossen. Er konnte innerhalb von zwanzig Sekunden einschlafen. Er war eingeschlafen, stellte Dave fest.
    Es war kaum zu glauben, dass dies alles vor fünf Tagen noch mit Schnee bedeckt gewesen war und dass ein eisiger Wind über das Land geweht hatte. Als er daran dachte, wanderten seine Gedanken zu Kevin, und er fühlte, wie die angenehme Entspannung ihm entglitt, wie der Wind, der durch seine Finger wehte. Statt dem offenen Grasland sah er dunklere Orte vor seinem inneren Auge; vor allem jenen dunklen Ort, an den Kevin gewandert war: die Höhle von Gwen Ystrat mit dem schmelzenden Schnee. Er erinnerte sich an die roten Blumen, an den grauen Hund, und als er an die weinenden Priesterinnen dachte, glaubte er beinahe sterben zu müssen.
    Wieder setzte er sich auf. Torc regte sich, wachte jedoch nicht auf. Hoch droben schien hell und wärmend die Sonne. Dies war ein guter Tag, um am Leben zu sein, und Dave zwang sich, sich nicht mehr mit seinen Erinnerungen zu beschäftigen. Er wusste, aus bitterer Erfahrung mit seiner eigenen Familie, wie sehr er ins Wanken geriet, wenn er Gefühlen wie jenen, die jetzt in ihm aufstiegen, zu weit nachgab.
    Er konnte sich das nicht leisten. Vielleicht, aber nur vielleicht, und nur dann, wenn er eines Tages Muße hatte, sich ausgiebig mit den Dingen zu beschäftigen, würde er sich einen Tag lang oder zwei hinsetzen und ergründen, warum er um Kevin Laine geweint hatte wie um niemand anderen seit seiner Kindheit.
    Allerdings nicht jetzt. Das war für ihn gefährliches Terrain, wusste Dave. Bekümmert verbannte er Kevin dorthin, wo er auch seinem Vater einen Platz zugewiesen hatte – nicht ganz vergessen, aber auch nicht ständig erinnert, und dann begab er sich dorthin, wo Levon mit dem Herzog von Rhoden saß.
    »Findest du keine Ruhe?« fragte Levon und blickte lächelnd auf.
    Dave ging neben

Weitere Kostenlose Bücher