Das wandernde Feuer
Lebzeiten das eine oder das andere erblicken zu dürfen.
Die Lios waren beide silberhaarig, schlank, und sie besaßen die langen Finger und die weit auseinander liegenden, veränderlichen Augen, von denen man sich erzählte. Doch nichts, was er je gehört hatte, vermochte ihn auf die kaum vorstellbare, demütig machende Schönheit vorzubereiten, die ihnen eigen war, und auf ihre selbst im Ruhezustand erkennbare Anmut.
Trotz alledem waren es die Raithen, die Ivor sprachlos machten und seinen Blick an sich fesselten. Die Dalrei waren ein Reitervolk, und sie lebten, um zu Pferde zu sitzen. Die Raithen aus Daniloth verhielten sich zu gewöhnlichen Pferden wie die Götter zu den Menschen, und jetzt standen gleich zwei davon vor ihm.
Sie waren am ganzen Körper golden wie die untergehende Sonne, bis auf den Kopf und den Schwanz und die vier Beine, welche silbern waren wie der noch nicht aufgegangene Mond. Ihre Augen waren blau und strahlten geradezu vor Intelligenz, und Ivor liebte sie auf der Stelle aus ganzer Seele. Und wusste, dass es jedem der anwesenden Dalrei ebenso erging.
Eine Woge reinster Freude durchlief ihn für einen Augenblick. Und wurde gleich gebrochen, als die Lios das Wort ergriffen, um von einem Heer der Finsternis zu berichten, das in diesem Moment die nördliche Ebene durchquerte.
»Wir haben es denen in Celidon mitgeteilt«, berichtete die Frau. »Lydan und ich werden nun gen Brennin reiten. Wir haben in der vergangenen Nacht den Großkönig mit Hilfe des Rufglases gewarnt. Inzwischen müsste er auf der Ebene angelangt sein, unterwegs nach Daniloth. Wir werden ihn abfangen. Wohin, wünscht ihr, soll er reiten?«
Inmitten des plötzlich aufgekommenen Geplappers fand Ivor seine Stimme wieder. »Zum Adein«, entschied er. »Wir werden versuchen, vor den Knechten der Finsternis am Fluss anzukommen und sie dort festzuhalten, bis der Großkönig eintrifft. Können wir das schaffen?«
»Wenn ihr jetzt aufbrecht und euch sehr beeilt, wäre es wohl möglich«, antwortete der mit Namen Lydan. »Galen und ich werden nun zu Aileron reiten.«
»Wartet!« rief Ivor. »Ihr müsst euch ausruhen. Gewiss brauchen die Raithen eine Rast. Wenn ihr den ganzen Weg aus Daniloth gekommen seid … .«
Die Lios mussten Bruder und Schwester sein, so ähnlich sahen sie einander. Sie schüttelten die Köpfe. »Sie haben tausend Jahre gerastet«, unterbrach ihn Galen. »Alle beide waren sie beim Bael Rangat dabei. Seither hatten sie keine Bewegungsfreiheit mehr.«
Ivor blieb der Mund offen. Er schloss ihn wieder.
»Wie viele habt ihr davon?« hörte er Cechtar hauchen.
»Diese zwei und noch drei. Sie vermehren sich nicht mehr seit dem Krieg gegen Maugrim. Zu viele sind damals gestorben. Etwas hat sich in ihnen verändert. Wenn diese fünf nicht mehr unter uns weilen, werden die Raithen nie mehr den Wind überholen.« Lydans Stimme war ein trauriger Akkord. Erfüllt von bitterem Jammer blickte Ivor zu den Raithen hinüber.
Er sagte: »Dann macht euch auf. Lasst sie laufen. Hell soll euch leuchten der Mond, und wisset, dass wir nicht vergessen.«
Zugleich erhoben die Lios grüßend die offene Hand. Dann lenkten sie die Raithen herum, sprachen zu ihnen, und die Dalrei erblickten zwei Kometen, golden und silbern, die gleich darauf atemberaubend über die dämmernde Ebene dahinflogen.
In Paras Derval war Aileron, der Großkönig, soeben erst zurückgekehrt und hatte so verspätet die Nachricht vom Aufleuchten des Rufglases erhalten. Eben erst hatte er den Befehl erteilt, dass ein Heer sich sogleich auf den Weg machen solle. Doch sie hatten einen weiten Weg vor sich. Einen viel zu weiten.
Levon trat vor seinen Vater. Mabon von Rhoden stand hinter ihm.
Ivor schlug dem Herzog vor: »Ihr seid zwei Tage lang geritten. Ich kann von Euren Männern nicht verlangen mitzukommen. Wollt ihr unsere Frauen und Kinder beschützen?«
»Ihr könnt verlangen«, antwortete Mabon ruhig, »was immer Ihr verlangen müsst. Könnt Ihr denn ohne die fünfhundert Mann auskommen?«
Ivor zögerte.
»Nein«, rief eine Frauenstimme dazwischen. »Nein, das können wir nicht. Nimm sie alle mit, Aven. Wir dürfen Celidon nicht verlieren!«
Ivor blickte seine Frau an und sah die Entschlossenheit in ihrem Gesicht. »Wir dürfen auch nicht unsere Frauen verlieren«, gab er zu bedenken. »Unsere Kinder.«
»Fünfhundert werden uns nicht retten können.« Das war Liane, seine Tochter, die neben Leith stand. »Wenn sie euch besiegen, dann bedeuten
Weitere Kostenlose Bücher