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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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nicht, bemerkte Tabor. Und da war noch etwas, das er jedoch nicht bemerkte, niemand bemerkte es.
    Vom Hang des Berges östlich des Lagers hatte sie ein scharfes Augenpaar den ganzen Tag über beobachtet. Und nun, da die Frauen und Kinder der Dalrei sich zögernd in ihrem neuen Lager niederließen, wobei ihre Gedanken in weiter Ferne weilten, im Norden in Celidon, begann dieser Beobachter zu lachen. Lange hielt sein Gelächter an, ungehört außer von den wilden Geschöpfen der Berge, die es nicht verstanden oder sich nicht darum kümmerten. Und bald darauf, obwohl genügend Zeit war, erhob sich der Beobachter und machte sich auf den Rückweg nach Osten, um die Nachricht zu überbringen, immer noch lachend.
     
    Kim war an der Reihe, die Führung zu übernehmen. Sie hatten nach jeder Rast abgewechselt, seit sie die Pferde zurückgelassen und mit dem Aufstieg begonnen hatten. Dies war der zweite Tag, den sie in den Bergen verbrachten. Hier am Pass war es noch nicht so schlimm. Brock hatte gesagt, der dritte Nachmittag würde am schwersten werden, und dann würden sie ganz in der Nähe von Khath Meigol sein.
    Er hatte nichts darüber verlauten lassen, was dann passieren würde.
    Gegen ihren erklärten Willen war sie zutiefst dankbar für seine Begleitung und ebenso tief erfüllt von Bewunderung für die stoische Art, in welcher er sie an einen Ort führte, der gespenstischer war als irgendein anderer in Fionavar. Doch er hatte ihr geglaubt, hatte ihr vertraut, als sie versicherte, die Geister der Paraiko würden den Gebirgspaß nicht mit ihrem Blutfluch unsicher machen.
    Die Paraiko selber befanden sich dort. In ihren Höhlen. Lebendig. Und, auf eine Weise, die sie immer noch nicht ganz begriff, gefangen.
    Sie blickte sich um und sah Brock mit kraftvollem Schritt unmittelbar hinter ihr herwandern, wobei er einen Großteil ihrer Ausrüstung schleppte: noch eine Auseinandersetzung, die sie verloren hatte. Die Zwerge waren noch eigensinniger als die Familie Ford, wie es schien.
    »Pause«, rief sie zu ihm hinab. »Sieht aus, als sei dort oben, wo der Pfad eine Biegung macht, eine flache Felsbank.« Brock grunzte zustimmend.
    Sie kletterte hinauf; musste ein paar Mal mit den Händen nachhelfen, aber es war wirklich nicht schwer. Sie hatte recht gehabt, hier befand sich ein flaches Plateau, sogar größer, als sie sich vorgestellt hatte. Die geeignetste Stelle, um haltzumachen und sich auszuruhen.
    Unglücklicherweise war sie besetzt.
    Sie wurde gepackt und geknebelt, noch ehe sie einen Warnschrei ausstoßen konnte. Völlig ahnungslos folgte Brock ihr hinauf, und binnen Sekunden waren sie alle beide entwaffnet, sie verlor ihren Dolch, er seine Axt, und beide wurden sie gefesselt.
    Sie wurden gezwungen, sich mitten auf dem Plateau niederzusetzen, während sich die große, ebene Fläche nach und nach mit jenen füllte, die sie gefangen genommen hatten.
    Nach einer Weile sprang eine weitere Gestalt von jenem Pfad herauf, auf dem sie die ganze Zeit gewandert waren. Es handelte sich um einen riesenhaften Mann mit einem verfilzten schwarzen Bart. Er war kahlköpfig und hatte ein grünes Muster auf Stirn und Wangen tätowiert. Auch unter dem Bart zeigte sich diese Tätowierung. Er brauchte einen Moment, bis er ihre Gegenwart bemerkt hatte, dann lachte er.
    Niemand sonst hatte einen Laut von sich gegeben. Sie waren von annähernd zweihundert Gestalten umgeben. Der kahle, tätowierte Mann schritt befehlsgewohnt zur Mitte des Plateaus und blieb vor Kim und Brock stehen. Einen Augenblick lang blickte er auf sie hinab. Dann holte er mit dem gestiefelten Fuß aus und versetzte dem Zwerg einen bösartigen Tritt gegen den Kopf. Brock sackte zusammen, und Blut floss aus seiner Kopfhaut.
    Kim holte Luft, um zu schreien, und er trat ihr in den Magen.
    Von Schmerzen überwältigt, nach Atem ringend, hörte sie ihn wieder lachen.
    »Wisst ihr«, fragte der kahlköpfige Mann seine Gefährten mit kehliger Stimme, »wie viele unbewachte Frauen des Reitervolkes dort drunten auf uns warten?«
    Kim schloss die Augen. Sie fragte sich, wie viele Rippen sie sich wohl gebrochen haben mochte. Ob Brock wohl tot sei.
    Rettet uns, hörte sie in ihrem Kopf. Den langsamen Gesang. Oh, rettet uns.
     
    Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da Dave davon ausgegangen wäre, nichts von alledem ginge ihn etwas an. Das war nun schon seit langem anders geworden, und zwar nicht aufgrund eines abstrakten Bewusstseins der ineinander verwobenen Schicksalsfäden sämtlicher

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