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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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war.
    Sich anfassen zu lassen, fiel ihr schwer – es war kein brennendes, schmerzliches Problem, aber immerhin schwer, und immer wenn es geschah, konnte sie spüren, wie sie sich innerlich wand, eine kleine, zerbrechliche Persönlichkeit, die früher Jennifer Lowell gewesen war, das goldene Mädchen. Selbst das Ablenkungsmanöver in Stonehenge, als sie und Kevin die Wachleute zu glauben verleitet hatten, sie seien ein französisches Liebespaar auf der Suche nach dem heidnischen Segen der Steine – selbst da hatte es ihr Unbehagen bereitet, seinen Mund auf dem ihren zu fühlen,. ehe die Wachleute gekommen waren. Und es hatte sich als unmöglich erwiesen, zu verhindern, dass er es spürte, denn vor Kevin konnte man kaum etwas verbergen. Aber wie nur, wie machte man von diesem erträglichen, grauen Land aus, in welchem sie weilte, einem früheren Geliebten klar, noch dazu dem zärtlichsten von allen, dass Rakoth sich in Starkadh an ihr vergriffen hatte, obszön und entstellt, während schwarzes Blut aus dem Stumpf seiner abgetrennten Hand getropft war, um Brandwunden auf ihrem Fleisch zu hinterlassen? Wie konnte sie erklären, dass es von da aus kein Zurück mehr gab, auch keine Vorwärtsentwicklung, weg von jenem Ort?
    Sie hatte zugelassen, dass er sie umschlungen hielt, hatte verlegene Bestürzung geheuchelt, als die Wachleute auf sie zukamen, und hatte wie geplant gelächelt und wortlos geschmollt, während Kevin zu seiner temperamentvollen, unzusammenhängenden Erklärung ausholte.
    Dann hatte sie das Zusammensein und die Kälte gefühlt, als Kim von ihr Besitz ergriff, und gleich darauf befanden sie sich in diesem Zimmer, dem ersten, das sie in Paras Derval kennen gelernt hatten, und wieder war es Nacht.
    Der Wandbehang war noch der gleiche, und diesmal loderten die Fackeln hell, so dass sie sie gut erkennen konnten: die außerordentlich kunstvolle Darstellung von Iorweth dem Begründer im Götterwald vor dem Sommerbaum. Jennifer, Kevin und Dave betrachteten ihn, dann wandten sich alle drei Paul zu.
    Der hatte sich nicht damit aufgehalten, den Wandbehang zu bewundern, sondern war rasch an die unbewachte Tür geeilt. Beim letzten Mal war dort ein Wachtposten gewesen, erinnerte sich Jennifer, und Matt Sören hatte ein Messer nach ihm geworfen.
    Diesmal trat Paul auf den Flur und stieß einen leisen Ruf aus. Darauf folgte lautstarkes Waffengerassel, und einen Augenblick später kam ein erschreckter Knabe in einer Rüstung, die ihm eine Nummer zu groß war, einen schussbereiten Bogen in der nicht ganz ruhigen Hand, den Flur entlang auf sie zu.
    »Ich kenne dich«, sagte Paul und würdigte den Bogen keines Blickes. »Du bist Tarn. Du warst des Königs Page. Erinnerst du dich an mich?«
    Der Bogen senkte sich. »Das tue ich, Herr. Vom Ta’Bael-Spiel her. Ihr seid … Ihr seid … .« Auf dem Gesicht des Knaben zeigte sich Ehrfurcht.
    »Ich bin Pwyll, ganz recht«, vollendete Schafer schlicht. »Bist du jetzt ein Wachmann, Tarn?«
    »Ja, Herr. Ich bin zu alt, um noch Page zu sein.«
    »Das sehe ich. Weilt der Großkönig heute Nacht im Palast?«
    »Ja, Herr. Soll ich –«
    »Warum führst du uns nicht zu ihm«, unterbrach ihn Paul. Es war Kevin, der den entschiedenen Ton in Schafers Stimme wahrnahm und sich erinnerte, ihn schon einmal gehört zu haben. Zwischen Paul und Aileron hatte eine unerklärliche Spannung geherrscht, als sie das letzte Mal hier gewesen waren. Es sah ganz danach aus, als sei sie nach wie vor vorhanden.
    Sie folgten dem Knaben durch ein Gewirr von Gängen und eine zugige Steintreppe hinab, ehe sie schließlich zu einer Flügeltür gelangten, die Paul noch in Erinnerung hatte.
    Tarn klopfte, und ein hochgewachsener Wächter ließ sie, nachdem er ihnen einen erstaunten Blick zugeworfen hatte, eintreten.
    Dieses Gemach hatte sich verändert, sah Paul. Die Wandbehänge waren abgenommen und an ihrer Stelle eine Reihe von Karten und Schaubildern aufgehängt worden. Ebenfalls verschwunden waren die tiefen Lehnsessel, an die er sich erinnerte; wo sie gestanden hatten, gab es jetzt eine Anzahl harter Holzstühle und eine lange Bank.
    Das Schachbrett mit seinen reichgeschnitzten Figuren war nirgendwo zu sehen. Stattdessen befand sich ein riesiger Tisch in der Mitte des Raums, und auf ihm lag eine großformatige Karte von Fionavar. Über diese Karte beugte sich, mit dem Rücken zur Tür, ein Mann von mittlerer Größe, in schlichtes Braun gekleidet, mit einem Pelzwams über dem Hemd zum Schutz vor der

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