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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Sie hatten vorgehabt, ihn am Morgen zu Aileron zu bringen, doch dann hatte Brock Zervans erfrorenen Leichnam im Schnee entdeckt. Und noch ehe sie darauf reagieren oder gar angemessen um ihn trauern konnten, hatte sie die Nachricht vom bevorstehenden Eintreffen Shalhassans erreicht, und der Palast war, genau wie die Stadt, in fieberhafte Aktivitäten ausgebrochen.
    Fieberhaft, aber wohlgeordnet. Loren und Matt und Brock eilten alle drei mit grimmigen Gesichtern von dannen, und so kam es, dass Kim und Arthur, allein gelassen im Quartier der Magier, nach oben stiegen und die Vorbereitungen von einem Fenster im Obergeschoß aus beobachteten. Sowohl ihrem ungeübten Auge als auch dem seinen, ungeheuer fachmännischen, entging nicht, dass hinter dem Durcheinander dort unten eine übergeordnete Absicht stand. Sie sah Menschen, die sie kannte, vorbeihasten oder -reiten: Gorlaes, Coll, noch einmal Brock, Kevin, der mit einem Banner in der Hand um eine Ecke gerannt kam, ja sogar die unverwechselbare Gestalt Brendels, des Lios Alfar. Sie machte den Mann an ihrer Seite auf diese Menschen aufmerksam, wobei sie ihren Tonfall so gleichmäßig und ausdruckslos hielt, wie sie konnte.
    Doch das fiel ihr schwer. Schwer, weil sie so gut wie keine Ahnung hatte, was zu erwarten war, nachdem man die Cathalianer begrüßt hatte und es Zeit wurde, Arthur Pendragon zu Aileron, dem Großkönig von Brennin, zu bringen. Drei Jahreszeiten lang, den Herbst, den Winter und den winterlichen Frühling über, hatte sie auf den Traum gewartet, der ihr ermöglichen würde, diesen Mann herbeizurufen, der nun beherrscht und aufmerksam neben ihr stand. Sie hatte gewusst, auf die unergründliche Weise, wie sie bestimmte Dinge nun einmal wusste, dass dies eine notwendige Anrufung war, sonst hätte sie nicht den Mut aufgebracht oder die Gefühlskälte, den Weg zu gehen, den sie in der vergangenen Nacht beschritten hatte, durch eine Dunkelheit, die nur erhellt wurde von der Flamme, die sie bei sich trug.
    Ysanne hatte ebenfalls davon geträumt, erinnerte sie sich. Das war ihr ein Trost, sie erinnerte sich an noch etwas, und das war kein Trost: Es ist mein Krieg, hatte Aileron gesagt. Ganz zu Anfang, bei ihrem ersten Gespräch, noch ehe er König war, noch ehe sie seine Seherin wurde. Er war ans Herdfeuer gehinkt als Tyrth, der verkrüppelte Diener, und hatte es wieder verlassen als Prinz, der zu töten bereit war, um sich eine Krone zu sichern. Und was, fragte sie sich besorgt, was würde dieser junge, stolze, unduldsame König tun oder sagen, wenn er dem Krieger gegenübergestellt wurde, den sie hergebracht hatte? Einem Krieger, der dereinst selber König gewesen war, der in so vielen Schlachten gegen so viele verschiedene Gestalten der Finsternis gekämpft hatte, der von seiner Insel zurückgekehrt war, von seinen Sternen, mit seinem Schwert und mit seinem Schicksal, um in diesem Krieg zu kämpfen, den Aileron für sich beansprucht hatte?
    Leicht würde es nicht werden. Über die Anrufung hatte sie nicht hinausgeblickt, auch jetzt wollte ihr das nicht gelingen. Rakoth ohne seine Ketten in Fionavar, das verlangte nach einer Reaktion; aus diesem Grunde, wenn schon aus keinem anderen, wusste sie, war ihr das Feuer gegeben worden, um es an der Hand zu tragen. Es war der Kriegsstein, den sie trug, und der Krieger, den sie hierher gebracht hatte. Wofür und zu welchem Endzweck, das war ihr nicht klar. Sie wusste bloß, dass sie hier eine Macht erschlossen hatte, die von jenseits der Mauern der Nacht stammte, und dass in ihrem Kern tiefe Trauer verborgen lag.
    »Bei der ersten Gruppe befindet sich eine Frau«, stellte er mit seiner volltönenden Stimme fest. Sie sah hin. Die Cathalianer waren eingetroffen. Diarmuids Männer trugen, für sie zum ersten Mal, formelle Kleidung und hatten sich an die Stelle der Eskorte aus Seresh gesetzt. Dann sah sie noch einmal hin, die erste Gruppe, das war jene Eskorte aus Seresh, und einer der Gardisten kam ihr unglaublich bekannt vor.
    »Sharra!« hauchte sie. »Schon wieder! Oh, mein Gott.« Und sie riss sich vom Anblick der verkleideten Prinzessin los, mit der sie sich vor einem Jahr angefreundet hatte, und musterte erstaunt den Mann neben ihr, der unter so zahlreichen Reitern inmitten eines derart turbulenten Gedränges einen ausgemacht hatte, der sich verstellte.
    Er erwiderte ihren Blick, und die weit auseinander liegenden dunklen Augen blickten gütig. »Es ist meine Aufgabe«, sagte Arthur Pendragon, »solche Dinge zu

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