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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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vor. »In drei bis vier Tagen sind wir wieder da.«
    Durch einen Mauerbogen blickend entdeckte er rotes Haar. »Gut«, rief er seinem besten Freund zu. »Pass auf dich auf.« Es hätte mehr zu sagen gegeben, dachte er, aber er konnte schließlich nicht alles auf einmal sein, war sich nicht einmal ganz sicher, was er eigentlich darstellen sollte.
    Er legte kurz die Hand auf Kevins Schulter und entfernte sich, indem er sich durch die wirbelnde Menge schob, um Jaelle abzufangen. Er schaute nicht zurück; Kevins Gesichtsausdruck, das wusste er, hätte ihn gezwungen, anzuhalten und sein Verhalten zu erklären, und er war nicht gewillt, jemandem zu offenbaren, wie sehr die nackte Angst ihn gepackt hatte.
    Auf halbem Wege machte er zu seinem Entsetzen die Entdeckung, dass Jennifer mit der Priesterin beisammenstand. Mit möglichst undurchdringlichem Gesicht trat er auf die beiden zu.
    »Ich brauche euch alle zwei«, begann er ohne Umschweife.
    Jaelle musterte ihn mit kühlem Blick. »Das wird ja wohl noch warten können«, meinte sie.
    In ihrer Stimme lag ein besonderer Ausdruck. »Nein, kann es nicht«, widersprach Paul. Und packte sehr bestimmt ihren rechten Arm, sowie ein wenig behutsamer den von Jennifer und eilte mit beiden, die ganze Zeit der Menge zuliebe einfältig lächelnd, durch die Eingangshalle, einen davon abzweigenden Gang entlang und dann, beinahe ohne seine Schritte zu verlangsamen, in den erstbesten Raum hinein, an dem sie vorbeikamen.
    Er war Gott sei Dank unbesetzt. Auf den zwei Tischen und auf dem Fenstersims lagen eine Reihe von Musikinstrumenten bereit. In der Mitte des Raums stand ein Spinett und neben ihm etwas, das wie eine auf die Seite gelegte Harfe aussah, auf einem Drehkranz befestigt, mit freistehenden Beinen.
    In der Tür steckte ein Schlüssel. Er drehte ihn im Schloss herum.
    Beide Frauen sahen ihn an. Zu jeder anderen Zeit hätte er nun wohl innegehalten, um die vor ihm in diesem Raum aufgereihte Schönheit auf sich einwirken zu lassen, doch im Augenblick war keins der beiden grünen Augenpaare mit besonderer Wärme auf ihn gerichtet, und das dunklere blitzte gar vor Wut. Er hatte sie verletzt, das war ihm klar, doch Jaelle gedachte nicht, ihn das sehen zu lassen. Stattdessen sagte sie: »Du tätest besser daran, dich zu entschuldigen.«
    Was ein bisschen viel verlangt war.
    » Wo ist er?« schleuderte Paul ihr seine Frage wie eine Waffe entgegen.
    Und musste erkennen, dass er sogleich in Verlegenheit geriet und entwaffnet dastand, als nach einem Augenblick der Verblüffung beide Frauen lächelten und einen nachsichtigen Blick wechselten.
    »Du hattest Angst«, stellte Jaelle ohne Umschweife fest.
    Er stritt es nicht ab. »Wo?« wiederholte er.
    Es war Jennifer, die ihm antwortete. »Es geht ihm gut, Paul. Jaelle war gerade dabei, mir von ihm zu berichten. Wann hast du es gemerkt?«
    »Gestern Nacht. Ich bin zu dem Haus gegangen.« Die Wiege, die im eisigen Wind hin und her schaukelt … . in dem verlassenen Haus.
    »Es wäre mir lieber gewesen«, bemängelte Jennifer nachsichtig, »wenn du mich oder Jaelle zu Rate gezogen hättest, ehe du so was tust.«
    Er spürte den Wutausbruch nahen; zwang sich erbarmungslos zur Ruhe und schaffte es gerade noch. Keine der beiden Frauen, die ihm ins Gesicht blickten, sah besonders selbstgefällig aus, als er seine nächsten Worte sehr sorgfältig formulierte:
    »Hier scheint ein Missverständnis vorzuliegen. Ich weiß nicht, ob eine von euch in der Lage ist, diesen entscheidenden Punkt zu begreifen, aber die Rede ist hier nicht von irgendeinem niedlichen Säugling, dem der Speichel übers Kinn läuft, wir haben es mit dem Sohn Rakoth Maugrims zu tun, und ich muss wissen, wo er ist!« Er bemerkte, wie seine Stimme sich überschlug vom verzweifelten Bemühen um eine gemäßigte Lautstärke.
    Jaelle war blass geworden, doch wieder war es Jennifer, die ihm beherzt Antwort gab. »Es liegt keineswegs ein Missverständnis vor, Paul. Es steht nicht zu befürchten, dass ich vergesse, wer sein Vater ist.«
    Das war wie ein kalter Wasserschwall im Gesicht; er fühlte, wie seine Verärgerung fortgespült wurde, so dass nur ein Bodensatz aus Besorgnis und tiefem Schmerz zurückblieb.
    »Ich weiß das natürlich«, lenkte er nach einem Moment des nachdenklichen Schweigens ein. »Es tut mir leid. Ich habe mich letzte Nacht sehr geängstigt. Das leere Haus war schon der zweite Anlass.«
    »Was war denn der erste?« fragte Jaelle, diesmal nicht allzu

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