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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Pfeile abschießen, mit Speeren werfen. Sie würden tapfer sein oder feige, selber töten oder getötet werden, in gegenseitiger Verbundenheit und in Verbundenheit mit allen anderen Menschen.
    Ihm fiel es zu, anders zu handeln. Er würde allein durch die Finsternis wandeln, auf der Suche nach seiner eigenen letzten Schlacht. Er, der zurückgesandt worden war, hatte die nackte Wahrheit auszusprechen und die bittere, verletzte Frau zum Weinen zu bringen, so als breche ihr in eben diesem Augenblick auch noch der letzte Rest dessen, was von ihrem Herzen übrig war.
    Zwei Frauen. Nun standen auch auf Jaelles Wangen helle Tränen, und sie achtete ihrer nicht. Sie sagte: »Sie sind zum See gegangen. Ysannes See. Die Hütte stand leer, daher haben wir sie dorthin geschickt.«
    »Warum?«
    »Er ist ein Andain, Pwyll. Ich habe Jennifer davon erzählt, kurz bevor du kamst: Sie reifen nicht heran, wie wir es tun. Er ist noch nicht einmal sechs Monate alt, doch er sieht aus wie ein fünfjähriges Kind. Und er wächst jetzt noch schneller.«
    Jennifers krampfhaftes Schluchzen ließ nach. Er ging zu der Bank hinüber, auf der sie Platz genommen hatte, und setzte sich neben sie. Es kostete ihn echte Überwindung, doch er nahm ihre Hand und hob sie an seine Lippen.
    Er beteuerte: »Ich kenne niemanden, der so herzensgut wäre wie du. Jede Kränkung, die ich dir zufüge, trifft mich selbst noch viel härter, und du musst mir glauben, dass es so ist. Ich habe mir nicht ausgesucht, so zu werden, wie ich heute bin. Ich bin mir ja nicht einmal sicher, was das überhaupt ist.«
    Er konnte spüren, dass sie ihm zuhörte. Er fuhr fort: »Du weinst aus Angst, du könntest Unrecht getan oder etwas Böses entfesselt haben. Ich meine ja nur, dass wir es nicht mit Sicherheit wissen können, aber es bleibt nach wie vor ebenso möglich, dass Darien einmal unser letzter, unser tiefster Hoffnungsschimmer wird. Und wir dürfen nicht vergessen –«
    Er blickte auf und sah, dass Jaelle näher getreten war, »– alle drei dürfen wir nicht vergessen, dass Kim seinen Namen geträumt hat, und deshalb hat er seinen festen Platz, er ist Bestandteil des Gewirks.«
    Sie hatte zu weinen aufgehört. Ihre Hand blieb in der seinen liegen, und er ließ sie nicht los. Kurz darauf hob sie die Augen. »Sage mir«, bat sie Jaelle, »wie ihr über ihn wacht.«
    Die Priesterin erweckte den Eindruck, als wäre ihr unbehaglich zumute. »Leila«, gab sie Bescheid.
    »Die Junge?« fragte Paul fassungslos. »Die, welche uns belauscht hat?«
    Jaelle nickte. Sie ging hinüber zu der waagrecht aufgestellten Harfe und schlug zwei Saiten an, ehe sie antwortete. »Sie ist auf den Bruder eingestimmt«, flüsterte sie. »Wie, das ist mir unverständlich, aber sie kann Finn sehen, und er ist beinahe ständig mit Darien zusammen. Außerdem bringen wir ihnen zweimal in der Woche zu essen.«
    Wieder war seine Kehle ausgetrocknet vor Angst. »Und was, wenn sie angegriffen werden? Könnten sie ihn nicht ganz einfach verschleppen?«
    »Warum sollten sie angegriffen werden?« erwiderte Jaelle und berührte leicht das Instrument. »Eine Mutter mit zwei Kindern? Wer weiß denn schon, dass sie sich dort aufhalten?«
    Er atmete ein. Ihm kam das alles vor wie nackte, bloße Torheit.
    »Wölfe?« hielt er für möglich, denn für ihn war das Thema noch nicht beendet. »Galadans Wölfe?«
    Jaelle schüttelte den Kopf. »Die wagen sich nicht dorthin«, entgegnete sie. »Noch kein einziges Mal haben sie sich hingewagt. An diesem See gibt es eine Macht, die sie fernhält.«
    »Was für eine Macht?« fragte er.
    »Ich weiß es nicht. Ganz ehrlich. Niemand in Gwen Ystrat weiß es.«
    »Kim schon, möchte ich wetten«, warf Jennifer ein.
    Sie schwiegen lange Zeit und lauschten der Priesterin an der Harfe, deren Klänge einander wie zufällig folgten, der Spielweise eines Kindes ähnlich.
    Nach einer Weile klopfte es an die Tür. »Ja«, rief Paul.
    Er öffnete die Tür, und Brendel kam herein. »Ich habe die Musik gehört«, sagte er. »Ich habe Euch gesucht.« Sein Blick ruhte auf Jennifer. »Da ist jemand. Ich denke, Ihr solltet kommen.«
    Seine Augen, sahen sie, waren dunkel. Sie standen alle auf. Jennifer wischte sich über das Gesicht; sie strich sich das Haar zurück und richtete ihre Schultern gerade. Für Paul sah sie sehr wie eine Königin aus. Er und Jaelle folgten ihr Seite an Seite aus dem Raum heraus. Der Lios Alfar kam hinterher und schloss die Tür.
     
    Kim war gereizt und ängstlich.

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