Das wandernde Feuer
»Was soll ich Euch nur sagen? Wollt Ihr alles wissen?«
Sie hatte Mut; sie wollte es sehr wohl erfahren. Er erzählte es ihr, ganz leise, um das Kind nicht zu wecken. Nachdem er geendet hatte, waren ihre einzigen Worte: »Was für ein kaltes Schicksal für einen, der so ein warmes Herz besitzt.«
Paul gab sich alle Mühe. »Er wird nun reiten durch sämtliche Welten des Gewirks. Möglicherweise stirbt er nie.«
Sie war immer noch eine junge Frau, nicht aber ihre Augen in jener Nacht. »Ein kaltes Schicksal«, wiederholte sie und schaukelte in ihrem Stuhl am Feuer hin und her.
In der nun folgenden Stille hörte er, wie sich das Kind hinter dem vorgezogenen Vorhang in seinem Bett umdrehte. Er schaute hinüber.
»Er ist lange aufgewesen«, flüsterte Vae. »Hat gewartet. Heute Nachmittag hat er etwas Besonderes vollbracht – er hat eine Blume in den Schnee gezeichnet. Das haben sie immer gemeinsam gemacht, wie Kinder nun einmal sind, aber die eine hat Dari allein geschaffen, nachdem Finn gegangen war. Und … . er hat sie farbig gemacht.«
»Was meint Ihr damit?«
»Nichts weiter. Ich weiß nicht wie, aber er hat den Schnee getönt, um seiner Blume Farbe zu geben. Ihr werdet es morgen schon sehen.«
»Vermutlich habe ich sie soeben zerstört, als ich den Hof überquert habe.«
»Vermutlich«, meinte auch sie. »Es ist nicht mehr viel übrig von dieser Nacht, aber ich glaube, ich werde zu schlafen versuchen. Ihr seht ebenfalls müde aus.«
Er zuckte die Achseln.
»Für Euch gibt es nur Finns Bett«, fügte sie hinzu. »Es tut mir leid.«
Er erhob sich. »Das passt mir ausgezeichnet.«
Einige Zeit später, im Dunkeln, hörte er zwei Dinge. Das eine waren die Laute einer Mutter, die um ihr Kind weint, und das zweite war draußen der Wind, der in den Stunden vor dem Morgengrauen an Stärke zunahm.
Das Rufen war wieder da. Es weckte Dari, wie immer. Zunächst kam es ihm wie ein Traum vor, aber er rieb sich die Augen und merkte, dass er wach war, wenn auch sehr müde. Er horchte, und es schien ihm, als sei diesmal etwas Neues hinzugekommen. Sie riefen nach ihm, er solle zu ihnen hinauskommen, wie sie es immer taten, aber die Stimmen im Wind riefen ihn bei einem anderen Namen.
Doch ihm war kalt, und wenn ihm in seinem Bett kalt war, würde er draußen im Wind sterben. Kleine Jungen durften nicht hinaus in diesen Wind gehen. Ihm war entsetzlich kalt. Indem er sich schlaftrunken die Augen rieb, schlüpfte er in seine Schuhe und tastete sich durchs Zimmer, um zu Finn ins Bett zu krabbeln.
Aber es war nicht Finn, der dort lag. Eine düstere Gestalt richtete sich in Finns Bett auf und sagte zu ihm: »Ja, Dari, was kann ich für dich tun?«
Dari fürchtete sich, aber er wollte seine Mutter nicht wecken, deshalb weinte er nicht. Er tappte zu seinem eigenen Bett zurück, das jetzt noch kälter war, und lag hellwach da, sehnte sich nach Finn, verstand nicht, wie Finn, der ihn angeblich lieb hatte, es fertig brachte, ihn so allein zu lassen. Nach einer Weile spürte er, dass seine Augen ihre Farbe wechselten, er konnte das jedes Mal innerlich spüren. Sie hatten sich verändert, als er die Blume geschaffen hatte, und jetzt taten sie es wieder, und er lag da und hörte die Windstimmen deutlicher, als er sie je zuvor vernommen hatte.
Kapitel 10
Am Morgen verließ eine glanzvolle Schar Paras Derval durch das Osttor, angeführt von zwei Königen. Und mit ihnen zogen die Abkömmlinge von Königen, Diarmuid dan Ailell, Levon dan Ivor und Sharra dal Shalhassan. Dabei war auch Matt Sören, der ehedem König gewesen war, ebenso Arthur Pendragon, der Krieger, dazu verdammt, für alle Zeiten König zu sein und niemals Ruhe zu finden, und obendrein wurden sie begleitet von zahlreichen Persönlichkeiten von Rang und Namen, sowie von fünfhundert Männern aus Brennin und Cathal.
Grau war der Morgen unter grauen Wolken, die von Norden heranzogen, doch heiter war die Stimmung Ailerons, des Großkönigs, der nun endlich von dem Einerlei des Planes in der Enge seiner Mauern erlöst war. Und seine Freude darüber, endlich zur Tat schreiten zu dürfen, spannte sich wie ein goldener Faden durch die zusammengewürfelte Heerschar.
Er wollte ein rasches Tempo vorlegen, denn sie hatten in der kommenden Nacht in Morvren einiges vor, doch die Truppe hatte die Randgebiete der Stadt kaum hinter sich gelassen, da hob er die Hand und veranlasste sie, noch einmal haltzumachen.
Am schneebedeckten Hang nördlich der geräumten Straße
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