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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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vollbracht hatte, fühlte er sich losgelöst, als das Feuer loderte, um das Horn ertönen zu lassen, und er sah und erkannte die Könige.
    Er hörte Owein nach ihm rufen: »Wo ist das Kind!« Er sah die Frau mit der Flamme vor Cargails Hufen zu Boden stürzen. Er entsann sich Oweins Stimme und wusste, dass dieser Tonfall Angst und Besorgnis zum Ausdruck brachte. Sie hatten so lange schlummernd in ihrer Höhle gelegen, und wer würde sie nun zurück in den sternenhellen Himmel führen?
    Wer schon?
    »Versetze sie doch nicht in Angst. Ich bin ja da«, beschwichtigte er. Und er kam zwischen den Bäumen hervor, trat an Owein vorbei, in den Kreis der sieben Könige hoch zu Ross. Er hörte sie in Freudenrufe ausbrechen und dann Conall Cernachs Gesang anstimmen, der so lange danach zum Ta´kiena-Spiel geworden war. Er spürte, wie sein Körper, seine Augen eine Veränderung durchliefen. Er wusste, dass er wie Rauch aussah. Der Höhle zugewandt sprach er mit einer Stimme, von der er wusste, dass sie wie der Wind klingen würde. »Iselen«, sagte er und sah sein weißes, weißes Pferd hervorkommen. Er aber bestieg Iselen und führte, ohne sich noch einmal umzusehen, Owein und die Wilde Jagd zurück in den Himmel.
     
    Alles fügt sich, dachte Paul, dessen inneres sich noch wand vor maßlosem Erstaunen und vor Herzeleid. Die übrigen schienen das gleiche zu empfinden, selbst der grimmige dunkelhäutige Dalrei Torc. Doch Kim war es, die am meisten litt, und daher ging er hinüber, kniete im Schnee nieder und zog sie an seine Brust.
    »Er war doch noch ein kleiner Junge«, schluchzte sie. »Warum rufe ich soviel Leid hervor.«
    »Nicht du«, tröstete er sie leise und fuhr zärtlich über ihr weißes Haar. »Er ist vor langer Zeit dazu berufen worden. Wir konnten das nicht wissen.«
    »Ich hätte es ahnen müssen. Es musste ein Kind dabeisein. Das war im Vers enthalten.«
    Er hörte nicht auf, ihr Haar zu streicheln. »O Kim, wir haben soviel Gelegenheit, uns mit Recht Vorwürfe zu machen. Lass Nachsicht walten, wo es zu Unrecht sein würde. Ich glaube nicht, dass uns bestimmt war, das zu wissen.«
    Welcher weit vorausdenkende Wille, dachte Paul, war über all die Jahre hinweg auch so vorausschauend gewesen, dieser Nacht Gestalt zu geben? Leise sprach er und verlieh seinem Gedanken Ausdruck:
     
    »Wenn das wandernde Feuer
    Trifft auf das Herz aus Stein,
    Wirst du dann folgen?
    Wirst du die Heimat verlassen?
    Wirst du dein Leben lassen?
    Wirst du nehmen den Längsten Weg?«
     
    Über die Jahre hinweg war das Ta’kiena in seiner Bedeutung verfälscht worden. Es ging nicht um vier verschiedene Kinder, die auf vier verschiedene Schicksalswege geschickt wurden. Das wandernde Feuer war der Ring, den Kim trug. Der Stein waren die Felsen, die er aufgebrochen hatte. Und die Fragen führten allesamt zu dem Weg, den Finn nun angetreten hatte.
    Kim hob den Kopf und betrachtete Paul mit ihren grauen Augen, die so sehr den seinen glichen. »Und du?« fragte sie. »Ist mit dir alles in Ordnung?«
    Vor jedem anderen hätte er sich vielleicht verstellt, doch sie war ihm in gewisser Hinsicht verwandt, war ebenso abgesondert von den übrigen wie er, wenn schon nicht aus dem gleichen Grund.
    »Nein«, gestand Paul. »Ich bin zu verängstigt, um auch nur zu weinen.«
    Sie sah es ihm an. Er bemerkte, wie sich ihr Gesichtsausdruck änderte. »Oh«, sagte sie. »Darien.«
     
    Selbst Diarmuid schwieg auf dem langen Ritt zurück. Der Himmel hatte sich aufgeklart, und der nahezu volle Mond war nun sehr hell und stand hoch. Sie brauchten die Fackeln nicht. Kevin ritt neben Kim, und Paul auf ihrer anderen Seite.
    Während er zunächst ihr und dann Paul einen Seitenblick zuwarf, spürte Kevin, wie sein eigener Kummer sich verflüchtigte. Es stimmte wohl, dass er hier weniger zu bieten hatte, nachweisbar weniger als seine vom Schicksal gezeichneten und heimgesuchten Freunde, aber andererseits hatte er auch nicht die Bürde zu tragen, die sie so offenkundig belastete. Kims Ring war kein leichtes, verklärendes Geschenk. Es musste unendlich schwer sein, damit fertig zu werden, in Gang gesetzt zu haben, was mit diesem jungen geschehen war. Wie kam es bloß, dass sich vor ihren Augen ein Menschenkind in ein Nebelwesen verwandeln konnte, so körperlos, dass es in den Nachthimmel aufsteigen und zwischen den Sternen verschwinden konnte? Die Verse, begriff er, irgendwie hatte es damit zu tun, dass beide Verse zueinander passten. Zur Abwechslung war er sich einmal

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