Das wandernde Feuer
gar nicht so sicher, ob er mehr darüber wissen wollte.
Paul aber, Paul hatte keine andere Wahl. Er wusste mehr darüber, und er konnte diese Tatsache nicht verbergen, auch nicht, wie sehr es ihn anstrengte, sich mit seinem Wissen herumzuschlagen. Nein, entschied Kevin, zur Abwechslung würde er sie einmal nicht um die Rolle beneiden, die sie zu spielen hatten, oder seine eigene Bedeutungslosigkeit für die Ereignisse der heutigen Nacht bedauern.
Sie hatten den Wind im Rücken, was ihnen den Ritt erleichterte, und dann, als sie aufs neue ins Tal um den See herum hinabstiegen, spürte er, wie die Luft milder und weniger frostig wurde.
Wieder machten sie einen Bogen um die Bauernhütte, nahmen denselben Weg zurück. Als er hinabschaute, sah er durch das Fenster, dass dort immer noch Licht brannte, obwohl es schon sehr spät war, und dann hörte er Paul seinen Namen rufen.
Die zwei blieben mitten auf dem Pfad stehen. Vor ihnen ritten die anderen weiter und verschwanden gleich darauf hinter einer Biegung am Hang.
Sie blickten sich einen Moment lang an, dann sagte Paul: »Ich hätte es dir schon längst erzählen sollen. Jennifers Kind ist dort drunten. Der Kleine, den wir vorhin beobachtet haben. Es war … . sozusagen … . sein älterer Bruder, den wir gerade mit der Wilden Jagd haben davonziehen sehen.«
Kevin beherrschte seine Stimme. »Was wissen wir über das Kind?«
»Sehr wenig. Es wächst sehr schnell. Das ist offensichtlich. Alle Andain tun das, meint Jaelle. Bisher gibt es keine Hinweise auf … . bestimmte Entwicklungstendenzen.« Paul atmete einmal tief durch. »Finn, der Ältere, hat auf ihn aufgepasst, ebenso die Priesterinnen, über ein Mädchen, das mit Finn Gedankenverbindung hatte. Jetzt ist nur noch die Mutter da, und es wird dort drunten eine schlimme Nacht werden.«
Kevin nickte. »Du hast vor, hinunterzugehen?«
»Ich halte es für angebracht. Aber ich brauche dich, um die anderen zu belügen. Sag ihnen, ich habe mich in den Mörnirwald begeben, zurück zu dem Baum, aus Gründen, die nur mich etwas angehen. Du kannst allerdings Jaelle und Jennifer den wahren Sachverhalt schildern – vielmehr solltest du es sogar tun, weil sie von dem Mädchen erfahren haben werden, dass Finn nicht mehr da ist.«
»Dann kommst du also nicht mit nach Osten? Auf die Jagd?«
Paul schüttelte den Kopf. »Ich bleibe besser hier. Ich weiß zwar nicht, was ich tun kann, aber ich bleibe besser hier.«
Kevin schwieg. Dann meinte er: »Ich würde dir gern raten, vorsichtig zu sein, aber das hat hier nicht viel zu bedeuten, fürchte ich.«
»Nicht besonders viel«, stimmte Paul ihm zu. »Trotzdem will ich mir Mühe geben.«
Wieder blickten sie einander an. »Ich kümmere mich um das, worum du mich gebeten hast«, versprach Kevin. Er zögerte. »Danke, dass du mich ins Vertrauen gezogen hast.«
Paul lächelte kläglich. Er entgegnete: »Wen denn sonst?« Gleich darauf beugten die beiden Männer sich seitwärts aus ihren Sätteln und umarmten sich.
»Adios amigo«, sagte Kevin, machte kehrt, setzte sein Pferd in Trab und verschwand bald danach hinter einer Wegbiegung.
Paul schaute ihm hinterdrein. Lange verhielt er reglos, die Augen starr auf die Biegung des Pfades gerichtet, hinter der Kevin verschwunden war. An dieser Stelle machte der Weg nicht nur eine Kurve, er gabelte sich auch, und zwar weit. Paul fragte sich, wann er seinen Freund wohl wieder sehen würde. Gwen Ystrat lag in weiter Ferne, und unter anderem konnte es sein, dass Galadan sich dort aufhielt. Galadan, der seinem Schwur zufolge ihm gehören sollte, wenn sie einander zum dritten Mal begegneten. Falls sie einander begegneten.
Doch jetzt hatte er eine andere Aufgabe zu erfüllen, weniger bedrohlich, doch dessen ungeachtet genauso im Bereich der Finsternis. Er wandte die Gedanken ab von Kevin, dem Unbekümmerten, und vom Fürst der Andain, demjenigen zu, der auch ein Andain war und sich eines Tages als gewaltiger erweisen mochte als ihr Fürst, im Guten wie im Bösen.
Er bahnte sich mühsam und vorsichtig seinen Weg den Abhang hinunter und umrundete im Licht des Mondes und im Schein der Lampe am Fenster den Hof. Es gab einen Pfad, der zum Tor führte.
Und da stellte sich ihm etwas in den Weg.
Beinahe jeder andere wäre nun vielleicht vor Angst wie gelähmt gewesen, doch Paul empfand etwas anderes, auch wenn das nicht weniger heftig geschah . Wie viel Leid für das Herz, dachte er, soll in dieser Nacht eigentlich noch zusammenkommen? Und
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