Das wandernde Feuer
beliebt, Großkönig, dann vermag Cavall sowohl unserem Triumph, als auch unserer Trauer Ausdruck verleihen.«
Aileron nickte. Arthur sprach mit dem Hund.
Der graue Cavall aber begab sich auf einen freien Platz am Flussufer, wo der Schnee weder niedergetreten, noch mit Wolfs- oder Hunde- oder Menschenblut besudelt war. Dort, auf einer rein weißen Stelle inmitten der kahlen Bäume, hob er den Kopf.
Doch das Geheul, das er anstimmte, war kein Laut des Triumphes und schon gar nicht einer, der einen Verlust betrauert.
Dave sollte nie erfahren, was ihn veranlasste, sich umzudrehen: das warnende Gebell des Hundes oder ein Zittern des Erdbodens. Blitzschnell wirbelte er herum.
Ein Augenblick blieb ihm, weniger als das, ein Zeitfunken im Zwischenraum zwischen den Sekunden, und währenddessen kam ihm eine Erinnerung. Ein anderer Wald. Pendaran. Flidais, das gnomenähnliche Wesen mit seinem gespenstischen Singsang. Und davon einer: Hüte dich vor dem Eber, hüte dich vor dem Schwan, die salzige See spült nicht ihren Leichnam an.
Hüte dich vor dem Eber.
Er hatte noch nie ein Geschöpf gesehen wie das, welches nun zwischen den Bäumen hervorgepoltert kam. Es musste mindestens achthundert Pfund wiegen und besaß grausam geschwungene Hauer und wutentbrannte Augen, und obendrein war es ein Albino, so weiß wie der Schnee in ihrer Umgebung.
Und Kevin Laine, der nur ein Schwert hatte und eine verletzte Schulter, würde es nicht schaffen, ihm auszuweichen, und es bestand nicht die leiseste Hoffnung, dass es ihm gelingen könnte, dem Ansturm dieses Untiers standzuhalten.
Er stellte sich ihm entgegen. Tapfer, aber zu spät und zu wenig bewaffnet. Noch während die Erinnerung an den grotesken Flidais in ihm hochschoss und er Diarmuids Warnruf hörte, trat Dave rasch zwei Schritte vor, ließ seine Axt fallen und machte einen tollkühnen Hechtsprung, unbewaffnet, wie er nun einmal war.
Er traf sogar irgendwie geschickt auf. Aus dem Sprung heraus rammte er den Eber an der ihm zugewandten Schulter, und er legte sein gesamtes Gewicht und all seine Kraft in diesen Stoß.
Er prallte ab wie ein Tischtennisball von einer Mauer. Er spürte, wie er weggeschleudert wurde, hatte Zeit, es zu bemerken, ehe er krachend und sich überschlagend zwischen den Bäumen landete.
»Kevin!« brüllte er und versuchte aufzustehen, was ganz und gar nicht ratsam war. Die Welt geriet ins Wanken. Er legte die Hand auf seine Stirn, und als er sie wieder herunternahm, war sie mit Blut bedeckt. Er hatte Blut in den Augen; er konnte nicht sehen. Doch er hörte Schreie und einen knurrenden Hund, und irgendetwas war mit seinem Kopf passiert. Jemand lag auf dem Boden, und überall rannten Menschen umher, dann war jemand bei ihm, dann noch jemand. Sein Kopf. Er versuchte noch einmal, sich hochzurappeln. Sie stießen ihn wieder zu Boden. Sie sagten etwas zu ihm. Er verstand sie nicht.
»Kevin?« versuchte er zu fragen. Es gelang ihm nicht, den Namen auszusprechen. Er bekam Blut in den Mund. Er wandte sich ab, um zu husten, und verlor sogleich vor Schmerzen das Bewusstsein.
Das war kein Heldentum gewesen, auch keine närrische Tollkühnheit – für derart komplexe Dinge war gar keine Zeit gewesen. Er hatte hinter den anderen gestanden und ein Grunzen und Trampeln gehört, daher hatte er sich umgedreht, noch ehe der Hund gebellt und die Erde unter dem Ansturm des weißen Ebers gebebt hatte.
In jenem Bruchteil von Sekunden, der ihm blieb, hatte Kevin geglaubt, das Untier habe es auf Diarmuid abgesehen, und deshalb hatte er aufgeschrien, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Doch das erwies sich als unnötig, denn er selbst war von Anfang an das Angriffsziel des Ebers gewesen.
Seltsam, wie viel Zeit immer dann blieb, wenn eigentlich gar keine Zeit zu verlieren war. Endlich verlangt einmal jemand nach mir, lautete der erste, noch fröhliche Gedanke, der ihm durch den Kopf schoss. Aber er war flink, schon immer war er flink gewesen, auch wenn er nicht mit einem Schwert umzugehen wusste. Es gab keinen Ort, an den er sich hätte flüchten können, und keinerlei Möglichkeit, dieses Ungeheuer zu töten. Als der Eber mit wahnwitzigem Gegrunze auf ihn zugedonnert kam und bereits seine Hauer anzuheben begann, um ihm den Bauch aufzuschlitzen, da passte Kevin genau den richtigen Zeitpunkt ab, ehe er einen Sprung vorwärts machte, die Hände auf das mächtige, weiße, stinkende Rückenfell des Ebers legte und wie ein minoischer Stiertänzer über ihn
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