Das wandernde Feuer
Hohepriesterin an Ailerons anderer Seite zurückkehrte. Im Hinsetzen warf er ihr einen kurzen Blick zu, und sie sah weg, ohne eine Miene zu verziehen. Sie hatten nicht miteinander gesprochen seit jenem Nachmittag, als er ihrer aller so mühelos Herr geworden war. Heute Abend jedoch war Maidaladan, und sie kannte ihn gut genug, um einen Antrag von ihm zu erwarten.
Im weiteren Verlauf des Banketts – Eberfleisch von der morgendlichen Jagd und Eltorfleisch, das die Dalrei von der Ebene mitgebracht hatten – wurde die Stimmung des Abends immer turbulenter. Sie war neugierig, gewiss nicht ängstlich, und obendrein besessen von einer besorgniserregenden Unruhe. Wenn die Glocken läuteten, hatte man ihr zu verstehen gegeben, würden die Priesterinnen aus dem Tempel kommen. Sie, das hatte ihr Vater entschieden so bestimmt, würde einige Zeit, ehe es soweit war, dorthin zurückkehren. Schon waren Arthur zu ihrer Linken und Ivor, der Aven der Dalrei, der sich den ganzen Abend auf das vergnüglichste mit ihr unterhalten hatte, zum Heiligtum aufgebrochen. Zumindest nahm sie an, dass sie dorthin gegangen waren.
Aus diesem Grund gab es im Saal, wo es mit der Zeit immer unbändiger zuging, zu beiden Seiten von ihr leere Plätze. Sie konnte erkennen, dass Shalhassan begonnen hatte, unruhig zu werden. Dies war nicht die rechte Stimmung für den Unumschränkten Herrscher von Cathal. Flüchtig kam ihr der Gedanke, ob ihr Vater wohl ebenfalls dieses Aufwallen körperlichen Verlangens spürte, das bei sämtlichen anderen Männern im Saal nach und nach zutage trat. Es musste wohl so sein, nahm sie an, und unterdrückte ein Lächeln – es war nicht leicht, sich Shalhassan als Opfer seiner Leidenschaften vorzustellen.
Und in diesem Augenblick wurde sie trotz allem davon überrascht, dass Diarmuid an ihre Seite trat. Er setzte sich nicht. Bestimmt würden zahlreiche Blicke auf sie gerichtet sein. Er stützte sich auf die Lehne des Stuhls, auf dem Arthur gesessen hatte, und sagte im Tonfall allerhöchster Freundlichkeit etwas, das sie völlig aus der Fassung brachte. Gleich darauf entfernte er sich mit einem höflichen Nicken, wobei der Schmuck an seinem Hals das Kerzenlicht einfing, und ging durch den lang gestreckten Saal, alle paar Schritte aufgehalten durch einen Scherz oder eine Stichelei, in die Nacht hinaus.
Sie war ihres Vaters Tochter, und nicht einmal Shalhassan, der ihr einen prüfenden Blick zuwarf, konnte auch nur eine Spur davon entdecken, wie aufgewühlt sie innerlich war.
Sie hatte angenommen, dass er sie heute Nacht aufsuchen würde, hatte den Antrag erwartet, den er ihr machen würde. Dass er ihr, wie er es gerade getan hatte, nur zuraunen würde: »Später«, und nicht mehr, das entsprach recht genau dem, was sie sich vorgestellt hatte. Es passte zu seiner Haltung, zu seiner unverschämten Sorglosigkeit.
Was nicht dazu passte, was sie so sehr aus der Fassung gebracht hatte, war die Tatsache, dass er eine Frage daraus gemacht hatte, eine Bitte, und sie dabei Antwort heischend angeblickt hatte. Sie wusste nicht, was ihre Augen ihm geantwortet hatten oder gar, was noch schlimmer war, was sie gewollt hatte, dass sie ihm antworteten.
Wenige Augenblicke später erhob sich ihr Vater, und ein Stück weiter unten im Saal folgte Bashrai seinem Beispiel. Eine Ehrengarde, immer noch bemerkenswert diszipliniert, geleitete den König und die Prinzessin von Cathal zurück zum Tempel. Am Eingang entließ Shalhassan sie mit huldvoller Geste, wenn schon nicht mit einem Lächeln, für diese Nacht.
Sie verfügte hier nicht über eigene Dienerschaft – Jaelle hatte eine der Priesterinnen beauftragt, sich um sie zu kümmern. Als sie das Zimmer betrat, sah Sharra, dass die Frau im Licht des Mondes, das schräg durch die Vorhänge drang, soeben ihr Bett aufdeckte. Die Priesterin trug bereits Mantel und Kapuze gegen die winterliche Kälte draußen, und Sharra konnte sich vorstellen, warum.
»Werden sie bald die Glocken läuten?« fragte sie.
»Sehr bald, Herrin«, flüsterte die Frau, und Sharra bemerkte einen angestrengten Unterton in ihrer tiefen Stimme. Auch das beunruhigte sie.
Sie ließ sich auf den einzigen vorhandenen Stuhl nieder und spielte mit dem Solitär, den sie um den Hals trug. Mit raschen, beinahe ungeduldigen Bewegungen bereitete die Priesterin das Bett fertig vor.
»Ist noch etwas, Herrin? Wenn nicht, dann … . Es tut mir leid, aber, aber es ist nur heute Nacht … .« Ihre Stimme bebte.
»Nein«, beschied ihr
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