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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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strahlten die leuchtenden Sterne frostig herab, doch die schwächer scheinenden wurden vom Mondlicht ausgelöscht, vor allem direkt über seinem Kopf, denn der Vollmond stand hoch am Himmel.
    Er ritt in gleichmäßigem Tempo gen Osten, und nach einiger Zeit begann das Pferd mit dem Aufstieg. Es gab keinen echten Pfad, nicht inmitten des Schnees, aber das Land war auch so recht eben, und die Schneeverwehungen waren nicht tief.
    Die Hügel verliefen von Norden nach Süden, und es dauerte nicht lange, bis er auf einen hochgelegenen Grat gelangte und auf die andere Seite hinabblicken konnte. In der Ferne glitzerten die Berge im Silberlicht, entrückt und bezaubernd. So weit würde er nicht reiten müssen.
    Er hatte das Pferd zum Stehen gebracht. Zu seiner Rechten bewegte sich ein Schatten inmitten von Schnee und Eis, und Kevin drehte sich rasch danach um, denn ihm war bewusst, dass er in dieser weiten Nacht unbewaffnet und allein war.
    Es handelte sich nicht um einen Wolf.
    Der graue Hund kam langsam, geradezu feierlich herbei, blieb vor dem Pferd stehen und richtete die Augen unverwandt auf Kevin. Er war trotz der schrecklichen Narben ein schönes Tier, und Kevins Herz öffnete sich ihm. So verweilten sie einen Moment lang, ein lebendes Bild dort auf der Hügelkuppe inmitten des Schnees und des tiefen, rauschenden Seufzens des Windes.
    Kevin fragte: »Willst du mich dorthin geleiten?«
    Einen Augenblick lang beobachtete Cavall ihn, dann drehte er sich um. Noch einmal wandte der graue Hund jedoch, als wollte er eine Frage an ihn richten oder als brauchte er eine weitere Aufforderung, den Kopf und blickte den einsamen Reiter auf seinem einsamen Pferd an.
    Kevin begriff. »Ich habe Angst«, gestand er. »Ich bin nicht bereit, dich zu belügen. Aber ich habe ein überwältigendes Gefühl in mir, umso mehr, seit du hier bist. Ich beabsichtige, Dun Maura aufzusuchen. Willst du mir den Weg weisen?«
    Ein Windstoß wirbelte den Schnee auf der Hügelkuppe auf. Als er sich legte, begann Cavall den Abhang hinunter gen Osten zu trotten. Noch einen Moment lang blickte Kevin zurück. Hinter ihm waren die Lichter Morvrans und des Tempels zu erkennen, und wenn er genau hinhörte, konnte er ganz schwach Rufe und Gelächter vernehmen. Er zog an den Zügeln, und das Pferd folgte dem Hund, und auf der anderen Seite des Hügels waren die Lichter und die Geräusche nicht mehr wahrnehmbar.
    Er hatte es nicht weit, würde es nicht weit haben, das wusste er. Etwa eine Stunde lang führte Cavall ihn auf gewundenen Pfaden aus dem Hügelland heraus, in östlicher und leicht nördlicher Richtung. Pferd und Reiter und Hund waren die einzigen Lebewesen in dieser winterlichen Landschaft aus immergrünen Gewächsen, auf denen sich der Schnee häufte, und aus den gerundeten Formen kleinerer Erhebungen und Senken. Kevins Atem gefror in der Nachtluft, und die einzigen hörbaren Laute waren die Schritte seines Pferdes und das Seufzen des Windes, der nun sanfter blies, da sie aus der Höhe herabgestiegen waren.
    Dann blieb der Hund stehen und sah erneut zu ihm auf. Er musste einige Augenblicke danach suchen, ehe er die Höhle entdeckte. Sie standen direkt davor. Vor dem Eingang gab es Büsche und überhängende Ranken, und die Öffnung war kleiner, als er erwartet hatte – eigentlich nichts weiter als ein Spalt, mit einem schrägen Pfad, der hinein in den offenbar letzten der niedrigen Hügel führte. Wäre das Mondlicht nicht so hell gewesen, hätte er ihn gar nicht erkennen können.
    Seine Hände zitterten ein wenig. Er atmete einige Male langsam und tief durch und spürte, dass sich das rasche Pochen seines Herzens legte. Dann schwang er sich vom Rücken seines Pferdes, stellte sich neben Cavall in den Schnee und betrachtete die Höhle. Er hatte große Angst.
    Nach einem weiteren Atemzug wandte er sich wieder dem Pferd zu. Er strich ihm über die Nüstern, lehnte den Kopf daran und spürte seine Wärme. Dann nahm er die Zügel auf und wendete das Pferd, so dass es den Hügeln und der dahinterliegenden Stadt zugewandt war. »Geh jetzt«, bedeutete er ihm, und versetzte ihm einen Klaps aufs Hinterteil.
    Ein wenig überrascht, wie leicht doch alles war, sah er den Hengst davongaloppieren, auf seiner eigenen deutlich erkennbaren Spur. Im klaren Licht konnte er ihn noch lange Zeit mit den Blicken verfolgen, ehe der Weg, den sie genommen hatten, um einen Ausläufer des Hügels gen Süden abbog. Noch einige Sekunden lang stand er da und spähte gen Westen

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