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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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Keine Antwort. Dann loggte ich mich auf ChessBase ein. Die Startseite mit der Weltkarte erschien, rote Punkte zeigten, wo in aller Welt die Nutzer saßen. In Nordamerika gab es einige Punkte an Ost-und Westküste, aber nur einen im Landesinneren. Chicago. Ich.
    Bald fand ich einen Gegner, der relativ stark spielte. Kurz nachdem es dunkel war, stand ich auf Gewinn. Ich ging auf den Balkon. Zählte, wie lange ich es dort aushielt, ohne zu zittern, barfuß und im T-Shirt. Normalerweise schaffte ich fünfzig Sekunden, manchmal siebzig. Vorhin hatten sie gesagt null Grad Fahrenheit. Minus 18 Grad Celsius. Ich rechnete das immer noch um. Neunundsechzig, siebzig, einundsiebzig, zweiundsiebzig. Ein Windzug ließ die Balkontür gegen den gummierten Rahmen schlagen, ein Mal. Ich fuhr herum. Eigentlich konnte es nicht sein, aber was, wenn durch den Aufprall der Schließmechanismus ausgelöst worden war und ich mich ausgesperrt hatte? Würden die Nachbarn mich hören, hinter ihren schallisolierten Fenstern? Oder auf der Straße? Niemals, bei dem Verkehr. Dies war der 38. Stock. Mit zwei Fingern drückte ich leicht gegen die Tür. Nichts. Ich wünschte, ich hätte meinen BlackBerry dabei. Nun zitterte ich. Hier war nichts, womit ich das Fensterglas hätte einschlagen können. Nur zwei Plastikstühle, mit gefrorenem Wasser in den Rillen der Sitzfläche. Und überhaupt, wen hätte ich anrufen können? Mir wäre nur der Notruf geblieben. Niemand würde mich vermissen. Außer auf der Arbeit.
    Ich legte die flache Hand an die Balkontür, drückte mit meinem ganzen Gewicht dagegen. Sie öffnete sich.
    Ich spielte nicht zu Ende. Klappte zum ersten Mal mitten in einer Partie den Laptop zu. Stellte den Wecker. Ich hatte beschlossen, morgen früh zur Arbeit zu gehen, als ob nichts wäre. Ich wollte es erleben. Wissen, was sie sich ausgedacht hatten, um mich zu feuern .
    MElKE
    Da ich nicht kellnern konnte, hatte ich während des Studiums angefangen, Groschenromane zu übersetzen, die von Frauen handelten, die erst unglücklich waren und dann dem Werben von Baronen beziehungsweise Chefärzten nachgaben. Aufgrund des drastischen Vokabulars, mit dem dieses Nachgeben geschildert wurde, nannte ich sie Hausfrauenpornos.
    Nach dem Examen hatte ich diesen Studentenjob zu meinem Beruf gemacht. Ich war gerade mit Arthur zusammengezogen, wir tranken morgens gemeinsam Kaffee im Bett, dann fuhr er in sein Atelier, ich übersetzte bis in den späten Nachmittag hinein und kochte uns Abendessen - verbrachte meine Tage zwischen Hausfrauenpornos und Hausfrauentätigkeiten. Immer wenn jemand fragte, was ich nach dieser, wie alle annahmen, Übergangslösung machen wollte, zuckte ich mit den Schultern.
    Dann zogen auch Gösta und Regine zusammen und gaben eine Einweihungsparty, auf der ich Thorsten Fricke kennenlernte, der als Lektor beim Famsdorff Verlag vor den Toren Hamburgs arbeitete. Leute, die sich viel mit Literatur beschäftigten, fragte ich gern, wer ihr Lieblingsschriftsteller sei. Es amüsierte mich, wie anscheinend niemand darauf antworten konnte, ohne mindestens fünf Namen zu nennen, doch Thorsten Fricke zögerte keine Sekunde und sagte:
    »Henry LaMarck.«
    »Habe ich mal gehört«, sagte ich. »Aber nie was gelesen?«
    »Nein.«
    »Das sagen alle. Niemand in Deutschland liest Henry LaMarck. Dabei ist er im Rest der Welt ein Star. Der verkauft Millionen und ist seit Jahren für den Nobelpreis im Gespräch.« »Geht das beides zusammen?«
    »Bei Henry LaMarck offensichtlich schon.« Dann gab er mir ein Buch, das er aus irgendeinem Grund dabei hatte »Wird dir gefallen.«
    Ich wollte eigentlich nur den Klappentext lesen, las dann den letzten Satz, den ersten, den zweiten, den dritten, während Thorsten Fricke einem Kunstgeschichte-Studenten in die Küche folgte. Regine hatte gerade mit Gösta, Sabine und Lars ihren ersten Salsakurs gemacht, und sie fingen an zu tanzen; lateinamerikanisches Lebensgefühl klingelte durch das Wohnzimmer, doch ich stand da und las. Als immer mehr Partygäste anfingen zu tanzen, ging ich in die Küche zu Thorsten Fricke, der dem Kunstgeschichtsstudenten in die Augen sah und fragte: »Und wo bist du in Padua abends so hingegangen?«, wollte nicht weiter stören, ging nach Hause, ohne mich zu verabschieden, und las die ganze Nacht.
    Das Buch hieß Unterm Ahorn. Es erzählt die Geschichte von Graham Santos. Mitten im Winter sitzt er auf einer Bank, um ihn herum fällt Schnee, doch er sitzt unter Palmen. Das klingt

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