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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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surreal, klärt sich aber bald auf, denn er sitzt in einem Palmenhaus im Lincoln Park in Chicago. Dort erzählt dieser Graham Santos, wie es dazu kam, dass er nie geboren wurde. Seine Eltern laufen durch den Roman, begegnen sich zwar, kommen aber nie zusammen. Die Mutter ist in den Vater verliebt, geht aber im entscheidenden Moment immer an ihm vorbei, schreibt ihm, ignoriert seine Antworten, verabredet sich mit ihm in einem Cafe und versetzt ihn, weil sie sich lieber in sexuelle Abenteuer mit mexikanischen Wanderarbeitern und durchreisenden Pressefotografen verstrickt - Abenteuer, wie sie im Prinzip auch in den Groschenromanen vorkamen, die ich übersetzte, nur dass sie bei Henry LaMarck viel, viel besser beschrieben waren. Statt Kinder zu bekommen und sich in Langeweile niederzulassen, haben die Eltern so jede Menge Spaß, und man hat das Gefühl, dass auch Graham Santos es nicht besonders schade findet, nie auf diese Welt gekommen zu sein.
    Erst als ich Unterm Ahorn zu Ende gelesen hatte, fragte ich mich, warum Thorsten Fricke es mir mit den Worten »Wird dir gefallen« gegeben hatte. Wirkte ich so, als sei auch ich Teil eines Lebens, von dem ich mir wünschte, es hätte nie stattgefunden?
    Die Übersetzerin hieß Carla Tomsdorf. Ich hätte alles getan, um mit ihr tauschen zu können, zumal ich nach der Lektüre von Unterm Ahorn das Gefühl hatte, es läge an ihren Übersetzungen, dass Henry LaMarck in Deutschland so wenig Erfolg hatte. Ich besorgte mir alle seine Bücher - auf Englisch, als wollte ich die Existenz dieser Tomsdorf negieren, Der Grad der Zerstörung, Junge Mädchen, Farenland - und übersetzte weiter meine Hausfrauenpornos. Ein Jahr später passierte das Unglück, das zum großen Glück meines Lebens wurde: Carla Tomsdorf wurde beim Joggen von einem Lieferwagen überfahren, wie ich aus dem Rundbrief des Übersetzerverbands erfuhr - es hatte sich also doch gelohnt, in der Gewerkschaft zu sein. Sofort rief ich Thorsten Fricke an.
    »Du willst Henry LaMarck übersetzen?«, fragte er in einem Ton, als hätte ich verkündet, ich wolle den Verlag kaufen. »Ihr braucht doch jemanden, oder?«
    »Du übersetzt Groschenromane.«
    »Henry LaMarcks Texte sind ein raffiniertes Spiel mit Hochsprache und Umgangssprache«, sagte ich.
    »Ich kann mal sehen, ob ich dir einen Auftrag für einen Krimi geben kann.«
    »Aber ich habe alle seine Bücher gelesen. Im Original.« »Dich kennt keiner. Das Risiko wäre zu ... «
    «Ende der Woche schicke ich dir 20 Seiten. Dann nimmst du mich oder eben nicht.«
    Das Buch hieß Howards Hotel und war gerade in Amerika erschienen. Der Inhalt tut nichts zur Sache. Was zählte, war, dass ich nun ein Ziel im Leben hatte: Henry LaMarck endlich zu dem Ruhm zu verhelfen, den Deutschland ihm bisher vorenthalten hatte. Thorsten Fricke riskierte es, gab mir den Auftrag, und Howards Hotel wurde Henry LaMarcks erster Bestseller in Deutschland.
    Seitdem war das erste Suchresultat, wenn ich meinen Namen bei Google eingab, nicht mehr www.stayfriends.de.
    Brilliant übersetzt von Meike Urbanski stand da nun auf den Seiten renommierter Zeitungen. Ich war Übersetzerin geworden. Dabei hatte ich mit diesen Hausfrauenpornos nur angefangen, weil ich nicht kellnern konnte und mir nicht zu schade war, Dinge zu übersetzen wie: Sie spürte seine pulsierende Pracht zwischen ihren zitternden Lippen. Doch seit ich Henry LaMarck übersetzte, schien es mir, als hätte ich nie etwas anderes tun wollen. Wenn mein Hamburger Himmel komplett schwarz wurde, machte die Arbeit an seinen Büchern ihn zumindest wieder grau.
    Nach dem Erfolg meiner ersten Übersetzung hatte der Verlag mich sogar Unterm Ahorn und andere frühe Romane von Henry LaMarck neu übersetzen lassen. Mit den Groschenromanen konnte ich aufhören.
    Henry LaMarck hatte die National Medal of Arts bekommen, den National Book Award, den PEN/Faulkner Award, den PEN/Nabokov Award und den PEN/Saul Bellow Award. Und natürlich den Pulitzerpreis. Fast jedes Jahr lieferte er ein neues Buch, doch in diesem Jahr waren alle besonders gespannt, denn Henry LaMarck hatte sich eines großen Themas angenommen, des Terroranschlags auf das World Trade Center. Allen war klar:
    Er schrieb den ersten Jahrhundertroman des 21. Jahrhunderts. Seit langer Zeit hatte ich nicht mehr mit so viel Vorfreude den Briefkasten geöffnet wie in diesen Tagen, denn der Farnsdorff Verlag hatte mit Henrys amerikanischem Verlag Parker Publi shing vereinbart, dass ich das Manuskript

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