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Das Weihnachten des Mr Scrooge

Das Weihnachten des Mr Scrooge

Titel: Das Weihnachten des Mr Scrooge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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getan, wenn es der Frost nicht gefangengehalten hätte. Nichts wuchs da als Moos und Ginster und hartes Gras. Tief im Westen hatte die sinkende Sonne einen feuerroten Streifen zurückgelassen, der für einen Augenblick über die öde Fläche blitzte wie ein drohendes Auge und im
mer finsterer und finsterer wurde, bis er sich im dichten Dunkel der schwärzesten Nacht verlor.
    »Was für ein Ort ist das?« fragte Scrooge.
    »Ein Ort, wo Bergleute wohnen, die in den Eingeweiden der Erde arbeiten!« antwortete der Geist. »Aber sie kennen mich. Sieh!«
    Heller Schein drang aus dem Fenster einer Hütte; sie schwebten rasch auf sie zu. Als sie durch die Wand aus Lehm und Steinen eintraten, fanden sie eine lustige Gesellschaft um ein helles Feuer versammelt: ein steinaltes Ehepaar mit Kindern, Kindeskindern und einer noch jüngeren Generation um sich, alle in ihren Festtagskleidern bunt herausgeputzt. Der alte Mann sang mit einer Stimme, die nur selten das Heulen des Sturmes auf der Einöde zu übertönen vermochte, ein Weihnachtslied, das schon in seinen Knabenjahren sehr alt gewesen war; und von Zeit zu Zeit fielen sie alle im Chor ein. Sooft sie ihre Stimmen erhoben, sang der Alte ebenfalls laut und kräftig, und wenn sie innehielten, ließ auch seine Stimme nach.
    Der Geist verweilte nicht hier, sondern bat Scrooge, sich an seinem Kleid festzuhalten, und schwebte mit ihm über die Heide – wohin wohl? Doch nicht auf die See? Ja, auf die See! Als Scrooge zurückschaute, sah er zu seinem Schrecken die letzte Landspitze, einen wüsten Felsengürtel, weit hinter sich, und seine Ohren wurden betäubt vom Donnern der Wogen. In den schaurigen Höhlen, die sie ausgewühlt hatten, rollten, grollten und brüllten sie und suchten gierig die Erde zu untergraben.
    Auf dem ungastlichen Riff einer unsichtbaren Klippe, einige Meilen vor der Küste, an die das Wasser jahraus, jahrein schäumte und toste, stand ganz allein ein Leuchtturm. Große Büschel Tang hingen an seinem Fuß, und Sturmvögel – man hätte sie für Kinder des Windes halten mögen wie den Tang
für ein Kind des Wassers – stiegen und fielen um ihn herum gleich den Wellen, die sie streiften.
    Aber selbst hier hatten die zwei Männer, die das Licht bewachten, ein Feuer angezündet, das durch das Guckloch in der dicken Steinmauer einen glänzenden Strahl auf die furchtbare See warf. Über den rauhen Tisch hin, an dem sie saßen, reichten sie sich die schwieligen Hände und wünschten sich bei ihrer Kanne Grog fröhliche Weihnachten; und einer von ihnen, noch dazu der ältere, dessen Gesicht vom rauhen Wetter gefurcht und zerrissen war wie die Galionsfigur eines alten Schiffes, stimmte einen kernigen Gesang an, der selber wie Windgebraus klang.
    Weiter zog der Geist über die schwarze, wogende See hin, bis sie sich weit, weit vom Ufer entfernt, wie er Scrooge mitteilte, auf ein Schiff herniedersenkten. Sie standen neben dem Steuermann am Rad, neben dem Ausguckposten im Mastkorb, neben den Offizieren, die die Wache hatten – lauter dunklen, geisterhaften Gestalten, die ihren verschiedenen Dienst versahen; aber jeder von ihnen summte ein Weihnachtslied oder hatte einen Weihnachtsgedanken oder sprach leise mit seinem Kameraden von irgendeinem vergangenen Weihnachtstag und den heimlichen Hoffnungen auf Heimkehr, die sich damit verknüpften. Und jeder Mann an Bord, ob wach oder schlafend, gut oder schlimm, hatte heute ein freundlicheres Wort für seine Gefährten gehabt als an irgendeinem andern Tag des Jahres, hatte bis zu einem gewissen Grad an seiner Feier teilgenommen, hatte derer in der Ferne gedacht, die er liebte, und gewußt, daß sie gern an ihn dachten.
    Während Scrooge dem Stöhnen des Windes lauschte und darüber nachsann, wie feierlich es sei, so durch die einsame Finsternis über unbekannte Abgründe zu fahren, deren Tiefen so tief und geheimnisvoll waren wie der Tod, war es für ihn
eine große Überraschung, mitten in diesen Gedanken ein herzliches Lachen zu hören. Und seine Überraschung war noch viel größer, als er es als das Lachen seines Neffen erkannte und sich in einem hellen, trockenen Zimmer wiederfand. Der Geist stand lächelnd neben ihm und betrachtete diesen selben Neffen beifällig und freundlich.
    »Ha ha!« lachte Scrooges Neffe, »ha ha ha!«
    Wenn du durch einen unwahrscheinlichen Zufall einen Mann kennenlernen solltest, der noch besser lachen kann als Scrooges Neffe, so kann ich nur sagen, daß ich ihn gleichfalls kennenlernen möchte!

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