Das Weihnachtshaus
auf und versuchte, einige von ihnen ausfindig zu machen. Die Termine der Aufführungen, die im Programmheft standen, lagen neun Monate vor meiner Geburt. Doralee stellte eines Tages diesen Zusammenhang her, und sie schloss daraus, dass eines der Mitglieder der Theatertruppe etwas wissen könnte. Oder dass einer der Schauspieler der Richtige sein könnte. Mein Vater.
Fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit, wenn man die Spur einer Truppe von Zigeunern verfolgen will. Und die Spur führte ins Leere. Trotzdem ging mir Doralees Einfall, dass die Aufführungstermine von Der Sturm mit meiner Geburt zusammenhängen könnten, nicht mehr aus dem Kopf.
Der dritte Wendepunkt kam nach Doralees Tod. Als ziemlich schlaue Fünfzehnjährige entschied ich mich für den betrügerischen Lebenswandel, der mir über Jahre hinweg so erfolgreich vorgeführt worden war. Ich verließ die Schule, und da ich älter aussah, als ich eigentlich war, fertigte ich selbst die nötigen Dokumente an, um als Achtzehnjährige zu gelten. Dann zog ich nach San Francisco.
Innerhalb einer Woche fand ich problemlos einen Job als Kellnerin in einem großen Hotel und meldete mich für einen Kurs in Buchhaltung an. Ich wollte einen Beruf, der mit Zahlen zu tun hatte und nicht mit Wörtern, denn sogar ich wusste, dass Zahlen nicht lügen können.
Die nächsten dreizehn Jahre war ich bei einer Buchhaltungsfirma im Transcontinental Building beschäftigt. Ich wohnte in einem netten Loft mit Blick auf die Bay Bridge, hatte einen lockeren Kreis von Freunden, keine Katzen und zwei Exfreunde. Josh, mit dem ich am längsten zusammen war, überredete mich indirekt, die Reise nach England zu machen.
Ich hätte erkennen müssen, warum ein Psychologiestudent, der mit missbrauchten Kindern arbeiten wollte, so brennend an mir interessiert war. Josh war überzeugt, dass ich etwas zu verbergen hatte.
Meine klare Antwort war: «Ich hatte eine herrlich unkonventionelle Mutter, und ich fühlte mich sehr geborgen bei ihr. Ich bin nicht missbraucht worden.»
Josh gab sich mit der Antwort zufrieden, schien aber trotzdem immer nach etwas zu forschen. «Es gibt noch eine andere Art von Missbrauch als nur den körperlichen», erklärte er.
Ich war mit der Zeit so geschickt darin geworden, meine Geschichte zu verschleiern, dass ich Josh nur vage Einzelheiten nannte, die unbefriedigend waren für jemanden, der eines Tages seinen Lebensunterhalt mit dem Analysieren der menschlichen Psyche verdienen wollte.
Vor Josh hatte jeder, der mich nach meinem Leben vor San Francisco fragte, den dürftigen und trotzdem dramatischen Bericht bekommen, wie meine Mutter in den Armen ihrer anderen großen Liebe, der Bühne, gestorben war. Dass ich als Waise bei meiner «Tante» gelebt hatte, die später an Krebs gestorben war. Falls der Fragende noch mehr wissen wollte, war es einfach, ihn mit kleinen Geschichten über Doralees sieben Katzen abzulenken, die alle nach ägyptischen Pharaonen benannt waren.
Josh war der einzige Mensch, einmal abgesehen von Doralee, der nicht aufhörte, nach meinem Vater zu fragen.
Schon am Anfang unserer Beziehung erzählte ich Josh: «Mein Vater ist tot. Er ist gestorben, bevor ich geboren wurde.»
Dann, eines Nachts, zeigte ich Josh in einem für mich ganz untypischen Augenblick der Schwäche die blaue Samttasche. Ich zeigte ihm das Programmheft von Der Sturm und das Foto. Ich zeigte ihm nicht meine Geburtsurkunde, da er davon ausging, dass ich siebenundzwanzig war. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um ihm zu eröffnen, dass ich vierundzwanzig war.
Josh nahm das Foto und hielt es so professionell wie ein erfahrener Forensiker. «Was ist, wenn dein Vater noch lebt und du ihn mit diesen beiden Hinweisen finden könntest?»
Ich zuckte mit den Achseln. Bisher war ich immer in einer Sackgasse gelandet.
«Das Foto sieht so alt aus, dass dieser heulende Junge dein Vater sein könnte.»
«Kann sein.»
«Eins wissen wir: Der Mann auf dem Foto ist als Weihnachtsmann verkleidet. Daran besteht kein Zweifel. Er ist eine britische Ausgabe von Saint Nick, wenn ich mich nicht irre.»
Josh betrachtete den Stempel auf der Rückseite des Fotos. «Das Carlton-Fotostudio muss also in England sein. Oder irgendwo in Großbritannien. Es dürfte nicht allzu schwierig sein, etwas über Carlton Heath herauszufinden. Es könnte eine Stadt sein oder ein Familienname. Und dann hast du noch Bexley Lane, das grenzt es noch weiter ein für dich. Damit hast du ein paar wichtige
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