Das Weihnachtshaus
Augen und dann wieder zu mir. «Ich habe nichts dagegen, wenn Sie sich alles ansehen, solange alles so bleibt, wie es ist.» Und dann fügte er noch hinzu: «Wir haben nichts zu verbergen.»
ACHTZEHNTES KAPITEL
In aller Eile brachen wir zum Gottesdienst auf. Julia saß neben mir auf dem Rücksitz des Wagens. Sie hielt meine Hand und schwatzte vor sich hin wie ein kleiner Vogel. Ich war dankbar für ihr Geplapper, denn so kamen Edward und Ellie nicht auf die Idee, mich zu fragen, was ich sonst noch in den Briefen im Arbeitszimmer gesehen haben könnte.
Die meisten Briefe waren Teil einer freundlich geführten Korrespondenz gewesen. So dankte er einem Kollegen für eine Einladung zum Dinner oder einem Theaterkritiker für eine positive Besprechung. Einer der Briefe war an seinen Bruder Robert gerichtet; darin bedankte er sich für ein Taschenmesser, das Robert ihm 1975 von einer Reise in die Schweiz mitgebracht hatte.
Ein anderes Gedicht der Sammlung, das sich auf «Margaret von der Mitternachtssonne» bezog, beschäftigte meine Gedanken, als wir zur Kirche fuhren.
du berührst
mit licht
die arktische leere meiner
pilgerseele
margaret von der mitternachtssonne
mit dir
reise ich durch immerwährenden sommer
und niemals durch die nacht
Dieses Gedicht zeigte mir, wie tief die Liebe von Sir James zu seiner Frau Margaret gewesen war, und mir kam der Gedanke, dass es gar nicht zu ihm passte, mit meiner Mutter zu schlafen.
Er hatte eine Frau. Er liebte sie. Wieso hat er sich dann von Eve «betören» lassen?
Mir wurde bewusst, dass ich mich allein schon deshalb schuldig fühlte, weil es mich gab. Ich fühlte mich schlecht, weil ich das Ergebnis eines «Augenblicks» meiner Mutter mit einem verheirateten Mann war. Ich hatte nie Gewissensbisse gehabt, weil ich die näheren Umstände meiner Existenz nicht kannte. Die Entscheidung meiner Mutter, mir nichts über meinen Vater zu erzählen, hatte mich davor bewahrt, dass ich mich mit möglichen Enthüllungen auseinandersetzen musste. Ihr Schweigen hatte mich auf einem Meer der Heimlichkeiten treiben lassen.
Ich schaute auf Julias Hand, die immer noch in meiner lag, und ich wusste, dass kein Kind sich jemals für seine Existenz schuldig fühlen sollte. Niemand kann sich seine Eltern aussuchen. Wie kann sich jemand dafür verantwortlich fühlen, dass er auf die Welt gekommen ist? Es war nicht meine Idee gewesen, dass ich geboren wurde.
Ich erinnerte mich an ein Gespräch mit Doralee, als sie zum zweiten Mal versuchte, meinen Vater zu finden. Ich erzählte ihr, dass ich vermutlich ein Unfall gewesen war. Ich sagte zu ihr, dass meine Mutter etwas getan haben müsste, das sie auf die «von Gott abgewandte Seite» geführt hätte, und dass sie deshalb nicht wollte, dass ich oder irgendjemand anders über meinen Vater Bescheid wusste. Auf uns lag ein Fluch.
Doralee regte sich mächtig auf und sagte, dass ich kein Unfall gewesen sei. Sie meinte, unser aller Leben beginne auf der «von Gott abgewandten Seite», und auf uns allen liege ein Fluch. Sie sagte, jeder von uns bräuchte jemanden, der uns mit Gott versöhnt.
So erzählte sie mir von Jesus. Er sei der Einzige gewesen seit Adam und Eva, auf dem bei seiner Geburt kein Fluch lag.
«Gott ist groß», sagte sie mir. «Dein Leben ist kein Fehler, Miranda. Gott kann tun, was immer er will. Ist es denn nicht offensichtlich, dass er dich mag?»
Damals war ich mir sicher, dass ich ein Unfall war und dass ich mein Schicksal selbst in die Hand nehmen musste. Aber was das bedeutete, das war mir nicht recht klar.
Julia drückte meine Hand, um sicherzugehen, dass ich ihrem Geplauder noch zuhörte. Auch ich drückte ihre kleine Hand und entschied, dass es richtig war, am Weihnachtsmorgen in die Kirche zu gehen.
Allmählich wurde ich neugierig, was mich beim Gottesdienst wohl erwarten würde. Schließlich erreichten wir genau die reizende Dorfkirche, an der ich letzte Nacht vorbeigegangen war. Sonnenlicht flutete über das Kirchdach und wärmte den watteweißen Boden des Rosenbeetes und die mit Schnee bedeckten behauenen Grabsteine. Das Bild war wunderschön. Wenn ich jemals in der Stimmung gewesen war, in eine Kirche zu gehen, dann war es an diesem Morgen.
Wir waren zeitig da, weil Mark und Julia Aufgaben im Gottesdienst übernommen hatten. Julia hüpfte auf einem Fuß, bis wir hintereinander durch die Bogenpforte gingen. In der steinernen Kirche war es ebenso frisch wie draußen. Kleine elektrische Heizlüfter hingen an einem
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