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Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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morgen früh Selbstmord im Kopf haben werde. Dass die Wände dann tiefblau sein werden und jeder Sinn sinnlos. Der Minus-Sinn. Katzen mit Gesichtern wie Hunde. Zwiebeln mit Spinnenbeinen. Ein amerikanischer Sieg wie ein Vorhang aus Erbrochenem. Eine Toilette mit einer Brust, einem Ei. Eine Kloschüssel, aus der dich das wahre, ausdruckslose Gesicht deiner leibhaftigen toten Mutter ansieht.
    Aber um den Morgen kümmerst du dich, wenn er da ist.
    Ich schreie Sandra an: »Die nächsten Lines lege ich ! Du hast mich letztens übers Ohr gehauen, deine waren doppelt so dick!«
    Wieder das alte Lied: Streit wegen Koks.
    Dann kommt etwas hinzu – man hört den grässlichen Schrei einer Frau, die um ihr Leben bangt, und eine zweite Frau schreit ebenfalls:
    » Du Nutte, du Nutte, ich bring dich um, du Nutte! «
    Wir gehen wieder raus. Es kommt aus demselben Hotel. Eine Frau hängt buchstäblich an einem Arm und einem Bein aus einem Fenster im achten Stock, ihr Körper baumelt, als könnte sie jeden Moment abstürzen. Die andere Frau beugt sich von oben zu ihr raus und schlägt mit irgendetwas auf sie ein. Das geht immer weiter, und das Geschrei dabei ist schauriger als jeder Höllenlärm, den man sich vorstellen kann.
    Der Hubschrauber ist wieder da. Sein Scheinwerfer erfasst und umspielt den Kampf der beiden Körper. Der Hubschrauber schwebt und kreist und strahlt überhell die Damen an. Die sich nicht stören lassen.
    Sam kommt wieder mit seiner Flinte raus, sieht mich an.
    »Los, Sam«, sage ich, »knall die Huren ab, sie machen zu viel Krach!«
    Sam legt an, zielt, feuert. Er schießt irgendeine Fernsehantenne weg. Ein Wirbel aus Stahl und Draht, und der immerkahle Baum stürzt hinab in die verdiente Dunkelheit.
    Sam nimmt die Flinte runter, geht zurück ins Hinterhaus.
    Sandra und ich gehen auch wieder rein. Ich werfe einen Blick auf die Schreibmaschine, die in der Küche auf dem Fußboden steht. Es ist ein dreckiger Boden. Es ist eine dreckige Maschine, die dreckige Stories tippt.
    Draußen geht das Geschrei unausgesetzt weiter.
    Ich besinne mich auf den Whiskey, gieße mir einen ein. Trinke ihn.
    Deshalb bin ich Schriftsteller geworden. Deshalb habe ich mich aus den Fabriken herausgekämpft. Das ist der Sinn und der Weg.
    Ich gehe wieder nach nebenan.
    »Ich glaub nicht, dass ich die Geschichte heute Abend fertig schreibe«, sage ich zu Sandra.
    »Wen juckt das denn?«, fragt sie.
    »Du hast die Seele eines Tausendfüßlers«, antworte ich.
    Nichts ist so angenehm wie unangenehm zu werden, wenn es sonst nichts zu tun gibt, und gewöhnlich gibt es sonst nichts zu tun, daher nehme ich Sandras Handgelenk, verdrehe es ihr und greife zum Rasiermesser: »Ich hab dir doch gesagt, ich will die nächsten Lines legen.«
    Ich beuge mich vor und tue mit einigem Geschick genau dies.

Ich lerne den Meister kennen
    In jungen Jahren war ich ein hungerleidender Schriftsteller. Dass ich am Verhungern war, kümmerte mich nicht weiter, weil ich das Leben nicht besonders interessant fand, und die Aussicht zu sterben schien mir gar nicht so übel – vielleicht wurden die Karten dann neu gemischt? Manchmal habe ich als ungelernter Arbeiter gejobbt, aber nie für länger. Ein, zwei Lohntüten, und dann möglichst lange frei. Ich brauchte nur Geld für die Miete und was zu trinken, für Briefmarken, Kuverts und Schreibmaschinenpapier. Ich schrieb zwei bis sechs Kurzgeschichten in der Woche, und Atlantic Monthly , Harper’s und der New Yorker schickten sie alle zurück. Das fiel mir schwer zu verstehen, denn die Stories, die ich in diesen Zeitschriften las, waren zwar sorgfältig geschrieben – handwerklich gut, könnte man sagen –, aber im Wesentlichen blutleer und langweilig, und vor allem humorlos. Mir kam das alles verlogen vor, als ob man umso mehr Anerkennung fand, je besser man log.
    Ich schrieb und trank abends. Tagsüber hing ich in der Stadtbibliothek von L. A. herum und las die ganzen Schriftsteller, und das war Schwerarbeit; die Schriftsteller brachten lange Absätze und seitenlange Beschreibungen, legten die Handlung an und entwickelten die Figuren, aber ihre Figuren waren ziemlich uninteressant, und die Stories sagten letztlich nicht besonders viel aus. Über das verpfuschte Leben fast aller Menschen, die Traurigkeit, die ganze Traurigkeit, den Irrsinn, das Lachen trotz des Kummers stand da wenig. Die meisten Autoren schrieben über die Lebenserfahrungen der oberen Mittelschicht. Ich brauchte etwas zu lesen, das mich

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