Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
einem hungernden Schriftsteller, der in der L. A. Public Library und am Grand Central Market herumhing, genau wie ich. Großer Gott. Wichtiger als die ähnliche Lebensweise war mir aber sein lockerer Umgang mit den Blödigkeiten des Lebens. Er ernährte sich von Apfelsinen vom Grand Central, stellte ich fest. Auf meinem Speiseplan dagegen standen Kartoffeln, Gurken und Tomaten. Wenn ich sie mir leisten konnte. Vor allem Kartoffeln. Zentimeter für Zentimeter fand ich die Knolle billiger und sättigender. Aber Bante stammte aus Colorado. Ich als Kalifornier hatte von jeher mehr Apfelsinen zu sehen gekriegt, als eine Katze Flöhe hat. Das ist schlecht geschrieben. Bante schrieb nie schlecht. Jedes Wort stand, wo es hingehörte, und jedes Wort sprach für sich.
Er war von dem großen Redakteur L. H. Renkin entdeckt worden, der die Zeitschrift American Calamity herausgab. Renkin war außerdem Lektor eines New Yorker Verlags und selbst kein schlechter Autor. Bald holte ich mir alle Bücher von Bante aus der Bibliothek. Sie hatten noch drei andere, aber Sporting Times? Yeah? gefiel mir nach wie vor am besten.
Ich hatte mir sämtliche Ortsbeschreibungen aus Sporting Times eingeprägt. Damals lebte ich für $ 2 die Woche in einem Holzschuppen hinter einer Pension. Das Viertel hieß Bunker Hill. Und ich sah mir an, wo Bante gelebt hatte. Ich ging Angel’s Flight hinunter und fand genau das von ihm beschriebene Hotel, blieb davor stehen und sah von draußen rein. Eine der stärksten Empfindungen meines Lebens durchströmte mich. Ich war wie versteinert, ja. Es war das Hotel. Durch dieses Fenster war Carmen, seine merkwürdige Freundin geklettert. Die merkwürdige, tragische Carmen.
Ich stand da und sah auf das Fenster. Es war früher Nachmittag und dunkel in dem Zimmer. Das Rollo war halb zugezogen und bewegte sich ein klein wenig im Luftzug. Da hatte Bante Sporting Times geschrieben. In diesem Zimmer war das alles entstanden, einem Zimmer, an dem ich auf dem Weg zum Grand Central Market oder meiner grünen Lieblingsbar oder auch nur, um in der Stadt spazieren zu gehen, monatelang vorbeigelaufen war. Ich fragte mich, wer wohl jetzt da wohnte. Vielleicht war Bante noch da! Ob ich mal an der Haustür klingeln sollte?
Tag, Mr Bante. Ich schreibe auch. Nicht annähernd so gut wie Sie. Ich möchte Ihnen nur sagen, wie sehr Ihre Worte mir im Kopf herumgehen und dass es ein Glück für mich war, Sie zu lesen. Schon bin ich wieder weg. Wiedersehn …
Aber ich wusste, dass ich einen Gott nicht stören durfte. Götter haben zu tun. Selbst wenn sie schlafen – ihr Schlaf ist anders. Außerdem wusste ich, dass Bante nicht da drin war. In einer Story seines letzten Erzählbandes hatte er erwähnt, dass er ein Zimmer in Hollywood hatte, für $ 7 die Woche, dass die Wirtin ihn raushaben wollte und dass er deshalb zur Mutter Gottes betete.
Ich war kein Heldenverehrer. Bante war mein Erster. Es lag an der Sprache, ihrer Einfachheit und Klarheit. Sie trieb mir die Tränen in die Augen und gab mir das Gefühl, ich könnte durch Wände gehen.
Jedenfalls wollte ich mir das Zimmer dann doch ansehen, das Zimmer, in dem es vollbracht worden war. Ich ergriff das Geländer am Fußweg, schwang mich drüber und landete auf dem Weg zum Hotel. Ich ging zum Haupteingang und trat ein. Die Halle sah genauso aus, wie er sie beschrieben hatte. Und auch der kleine Tisch war da, auf dem er einige Exemplare des American Calamity mit seiner ersten gedruckten Story deponiert hatte, The Little Dog Laughed Hard And True. Ich ging durch die Halle, bog links ab und stand vor dem Zimmer, dessen Fenster auf Angel’s Flight hinausging.
Zimmer 3. Ich hob die Hand, um zu klopfen, zögerte und klopfte dann. Dreimal kurz und leise. Ich wartete. Nichts. Ich klopfte noch dreimal, lauter zwar, aber immer noch ehrfürchtig. Ich hörte ein Geräusch im Zimmer. Dann öffnete sich die Tür. Hitze schlug mir entgegen – Dantes Inferno . Es war ein warmer Juninachmittag, aber da bollerte ein Gasofen auf vollen Touren. Eine in eine Wolldecke gemummte alte Frau stand vor mir. Sie war klein und beinah kahl, hatte aber noch etliche lange weiße Haare auf dem Kopf, die ihr über die Ohren fielen und am Kinn herunterhingen.
»Ja?«, sagte sie.
»Entschuldigen Sie, ich bin auf der Suche nach einem Freund von mir, der hier mal gewohnt hat, ein gewisser John Bante …?«
»Nein«, sagte die alte Frau.
Sie hatte unglaublich schöne Augen, als hätte sich alles, was
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