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Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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von ihr übrig war, in den Augen konzentriert und wartete dort auf das Ende.
    Die alte Frau sah mich bloß an. So standen wir einen Moment lang voreinander.
    Dann sagte sie: »Leck mich!«, und knallte die Tür zu …

    Ich blieb noch ein paar Jahre der hungernde Schriftsteller. Meine Schreibmaschine war immer wieder beim Pfandleiher, und schließlich ging es mir so dreckig, dass ich sie mir nicht zurückholen konnte. Eines Abends verkaufte ich den Pfandschein in der Kneipe, um das Geld zu vertrinken, und danach schrieb ich meine Stories in Druckschrift mit der Hand, wobei ich oft auch Illustrationen hinzufügte. Ich tippelte durchs Land und machte mit meinen handgeschriebenen Geschichten weiter. Schließlich nahm eine der damals angesehensten Literaturzeitschriften eine Story von mir an und druckte sie. Das Honorar war dürftig, aber nach diesem Erstling bekam ich Anfragen von anderen Zeitschriften, wie etwa vom Esquire . Und Briefe von Leuten, die gern meine Agenten sein wollten, falls ich noch keinen hatte. Teufel, ich hatte weder einen Agenten noch eine Schreibmaschine. Irgendwie schaffte mich dieser plötzliche Durchbruch, anstatt mich aufzubauen. Ich kam zu dem Schluss, dass ich zwar gut schreiben konnte, aber nichts hatte, worüber ich schreiben konnte. Ich hörte zehn Jahre auf zu schreiben und konzentrierte mich ganz aufs Trinken. So landete ich in der Armenstation des Bezirkskrankenhauses von L. A., wo sich ein Priester über mich beugte, um mir die letzte Ölung zu erteilen. Ich jagte ihn raus und suchte mir einen Job als Transportfahrer für eine Glühbirnenmanufaktur. Ich hatte Glück, fand einen netten Bungalow am Kingsley Drive, besorgte mir eine Schreibmaschine und kam jeden Abend nach Hause, aber statt zu Abend zu essen trank ich zwei Sixpacks oder mehr und fing plötzlich an, etwas ganz Seltsames zu schreiben: Gedichte.
    Um es kurz zu machen: Eine Ehe kam und ging. Ich brachte meine Gedichte in zig kleinen Zeitschriften unter, aber das machten alle anderen auch, so wie man sich den Hintern abwischt oder eine Dichtung auswechselt, wenn der Hahn tropft. Die Kriege und die Jahre gingen weiter, genau wie die verrückten Freundinnen und die verrückten, unmöglichen Jobs. Wie gibt man zwei, drei vergeudete Jahrzehnte wieder? Wie nichts. Ganz einfach. Das soll so sein mit den vergeudeten Jahren.
    Wegen meiner wüsten Sauferei wurde ich so etwas wie ein stadtbekannter Spinner. Ein Professor lud mich zu sich nach Hause ein, und als nach einem netten Abendessen mit Wein und noch mehr Wein das Gespräch auf Kunst und Lyrik kam, zwei Sachen, von denen ich im Allgemeinen nichts halte, stand ich auf und zerschlug seinen Porzellanschrank, und das wurde mir irgendwie als Geniestreich angerechnet. Durch diese Dummheit kam ich zu einem Job als Kolumnenschreiber für eine Undergroundzeitung. Und es war, als hätte ich John Bante vergessen. Aber das täuschte. Ich hatte ihn nur verlegt.
    Sprung über ein paar vertane Jahre … Ich fand einen Job als Sortierer bei der Post, und wie das mit Jobs so geht, nach elfeinhalb Jahren brachte die Arbeit mich um. Meine Nerven lagen blank. Mein Körper war verspannt, erstarrte Quälerei. Ich konnte den Hals nicht mehr drehen. Wenn mich jemand anrempelte, jagten Schmerzstöße durch meinen Körper. Ich hatte Schwindelanfälle, dass ich mir auf die Zunge biss, um nicht umzukippen. Die anderen Sortierer merkten nichts davon. Ich war die Frohnatur, der Clown, Abend für Abend lieferte ich mir Wortgefechte mit den schlimmsten Dreckmäulern, und im Allgemeinen hatte ich das größte Maul, aber das war nur Masche, ein Schutzschild: Ich ging kaputt.
    Eines Abends fuhr ich nach den üblichen dreieinhalb Überstunden nach Hause. Ich hatte schon eine Reihe Knöllchen kassiert und Post von der Kfz-Stelle bekommen, dass ich mit Führerscheinentzug rechnen musste. Ich hatte eine Heidenangst vor den Bullen. Dann musste ich links abbiegen. Ich hatte keine Blinker an meiner alten Kiste. Mit Mühe bewegte ich den Arm Richtung Fenster, um anzudeuten, dass ich nach links wollte. Der Schmerz schoss durch mich hindurch, als hätte ich ein Fass angezapft. Und den Arm konnte ich beim besten Willen nur gerade so weit bewegen, dass ein Stück meiner Hand aus dem Fenster schaute. Nur die Hand, nicht der Arm. Und ich sah mir dabei zu, als wären wir zwei – einer vom anderen beobachtet. Ich reckte einen Finger in die Nacht, einen unnützen kleinen Finger, und drehte mit der anderen Hand das Steuer, um

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