Das weiße Amulett
verlassen. Oder wir werden die Stücke noch heute wieder ins Ägyptische Museum zurückbringen.«
In seiner Stimme lag eine solche Entschlossenheit, dass Karen verstohlen nach Mansfields Arm griff und ihn kurz drückte.
Er spürte ihr Zeichen und biss die Zähne zusammen. Eine schnelle Abreise entsprach nicht seinen Plänen.
Abends im Hotelzimmer lehnte sich Mansfield missmutig gegen den Türrahmen zum Badezimmer.
Karen bemerkte seine mürrische Stimmung und erinnerte sich wieder an seine merkwürdige Frage an den Beamten.
»Was ist los mit dir? Du siehst so unzufrieden aus. Warum hast du den Mann eigentlich gefragt, ob wir die Artefakte nicht ein paar Tage später abholen können? Was spricht denn gegen morgen?«
»Dagegen spricht, dass ich schon die ganze Zeit die Siwa-Oase besuchen wollte«, antwortete Mansfield gereizt und sah an Karen vorbei zum Fenster, wo die untergehende Sonne Kairo in eine rötlichblaue Dunkelheit tauchte.
»Siwa?« Karen wurde schwindlig. Er wollte schon wieder in die Wüste fahren? »Das kann nicht dein Ernst sein!
Die Oase liegt mindestens dreihundert Kilometer von hier entfernt. Und sie hat keinen Flugplatz, soweit ich weiß.«
»Ja und?«
»Das bedeutet, dass man sie nur mit dem Auto oder Bus erreichen kann. Das würde uns mindestens zwei Tage kosten.«
»Ja und?«
»Sag nicht immer ja und! Marcus Johnson erwartet uns morgen in der American University of Cairo, damit wir bei ihm die Artefakte für die Sorbonne abholen. Da bleibt keine Zeit für eine Tagesreise in die libysche Wüste.«
Sie konnte es einfach nicht glauben. Wie konnte er nach allem, was sie auf der Reise nach Bahariya erlebt hatten, ausgerechnet jetzt nach Siwa wollen? Die Wüste hätte ihm beinahe das Leben gekostet.
»Karen …« Seine dunklen Augen sahen sie eindringlich an. »Ich habe dich nie um etwas gebeten. Aber es ist nun mal ein Kindheitstraum von mir, diese Oase zu besuchen, in der Alexander der Große das Amun-Orakel befragte. Ich habe alle Bücher darüber verschlungen. Und jetzt bin ich in Ägypten und bitte dich nur um diese paar Tage!«
»Aber wir haben dafür keine Zeit«, entgegnete sie voller Angst.
Mansfield verschränkte die Arme vor der Brust. »Seit ich dich kenne, geht es immer nur nach deinen Wünschen«, sagte er mühsam beherrscht. »Und wenn ich dich jetzt einmal um etwas bitte …«
»Du hättest mich ja nicht zu begleiten brauchen!«, schnaubte sie ohne zu wissen, wie sehr sie diese Worte später bereuen würde.
Eine kleine Ader an Mansfields rechtem Auge begann nervös zu zucken. »Ach nein? Und wer ist dann an dem Abend in Paris bei mir angekrochen gekommen, weil er Angst hatte?«
Sie taumelte zurück, als ob er sie geschlagen hätte.
»Ich … ich habe dich nie gezwungen, mir zu helfen!«, rief sie atemlos.
»Nein, aber du hast alles dankbar angenommen – das Kleid, die Schuhe, die Handtasche, das Parfüm, die Abendessen, das Übernachten in der Suite, den Wagen …«
Plötzlich schlug ihre Benommenheit in Wut um und gab ihr neue Kraft. Ihre Augen schossen Blitze auf ihn ab, ehe sie sich wortlos umdrehte, zum großen Wandschrank ging, die breiten Schwingtüren öffnete und gezielt hineingriff.
»Hier sind sie, die Schuhe, die Handtasche, das Parfüm …« Sie warf alle Geschenke in hohem Bogen über ihre Schulter. Dann stopfte sie ihre Sachen in den Koffer und hängte ihren dünnen Leinenmantel über den linken Arm. Kurz vor der Tür blieb sie stehen, griff in die Hosentasche und zog drei große Banknoten hervor. »Und das ist für die Abendessen! Das Kleid bezahle ich dir, wenn ich wieder in Hamburg bin!« Sie warf ihm das Geld vor die Füße und ging ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer. Die Tür fiel mit einem lauten Krachen ins Schloss.
Mansfield stand in der Mitte des Zimmers und starrte auf den Parfüm-Flakon, der neben seinem linken Fuß herumrollte. Mit einem kurzen Tritt schoss er ihn unter das Sideboard am Fenster und verschwand mit einem Faustschlag gegen den Türrahmen ins Badezimmer. Dort wusch er sich das Gesicht und betrachtete sich im Spiegel.
Du hättest sie nicht gehen lassen dürfen, sagte sein schlechtes Gewissen. Es ist Nacht, und sie kennt sich in Kairo nicht aus.
Doch, es war richtig, widersprach ein zweiter böser Gedanke.
Plötzlich spürte Mansfield ein Kribbeln in seiner rechten Hand, dass ihm die Nackenhaare zu Berge standen. Es war dasselbe Kribbeln wie vor einer Woche auf dem Pariser Flohmarkt, als die geheimnisvolle Frau ihn
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