Das weiße Amulett
an und wandte sich vom Fenster ab.
»Aber es ist doch gar nichts passiert.«
Laurent warf einen Blick durchs Fenster auf den breiten Verband um Mansfields Oberkörper.
»Es war ein versuchter Raubüberfall. Immerhin hat man Ihren Mann mit einem Messer verletzt.«
»Er ist nicht mein Mann.«
»Ist er nicht? Dann ist er Ihr Freund?«
»Nein, auch nicht. Ehrlich gesagt kenne ich ihn erst seit einer halben Stunde.«
Laurent stutzte und beobachtete, wie sich der Mann im Behandlungszimmer ein blaues T-Shirt überzog. »Sie haben ihn noch nie vorher gesehen?«
»Nein.«
Er runzelte die Stirn und blickte sie aus seinen kleinen strengen Augen an, als ihm ein neuer Gedanke kam. »Was machen Sie eigentlich nachts allein in der Metro? Wissen Sie denn nicht, dass man als Frau zu so einer Uhrzeit besser ein Taxi nimmt?«
Sie griff sich an den Kopf und massierte ihre pochenden Schläfen.
»Natürlich weiß ich das. Aber es war kein Taxi in der Nähe, und Sie wissen ganz genau, dass es in Paris manchmal verdammt schwer ist, eins zu bekommen.«
Er nickte, doch auch wenn sie ihm mit dem blassen Gesicht Leid tat, musste er sie schelten. Die Touristen machten immer dieselben Fehler. »Das nächste Mal nehmen Sie ein Taxi, n’est-ce pas? Oder Sie gehen früher nach Hause.«
»Versprochen«, sagte sie und lächelte matt.
»Gut. Dann kommen Sie bitte mit.« Er brachte sie in einen kleinen Nebenraum, in den wenige Minuten später auch Mansfield eintrat. Er trug wieder seine braune Lederjacke, die vom Blut gesäubert war. Laurent nahm die Personalien auf und bemerkte erstaunt, dass es sich um einen sechsunddreißigjährigen New Yorker Polizisten handelte, der in Paris Urlaub machte, während die Frau irgendeine Schriftstellerin aus Hamburg war. Er notierte ihre Hoteladressen und hob während des Schreibens eine seiner dunklen Augenbrauen. Wieso konnte sich dieser amerikanische Polizist das Hotel Vernet leisten, das zu den teureren Adressen in Paris gehörte? Er warf Mansfield einen prüfenden Blick zu. Außerdem störte ihn noch etwas anderes.
»Monsieur Mansfield, Ihr Hotel liegt in der Rue Vernet in der Nähe der Champs-Élysées. Warum waren Sie zu dieser Uhrzeit in der Metro? Die Linie 10 fährt doch gar nicht in Ihre Richtung?«
»Das muss sie auch nicht. Ich hatte mir heute Nachmittag das Panthéon angeguckt und wollte dann nach La Défense. Da der Pariser Verkehr berüchtigt ist, habe ich meinen Wagen im Quartier Latin stehen lassen und nahm die schnellere Metro.«
»Sie wollten also zu Ihrem Wagen zurück?«
»Stimmt.«
»Welches Kennzeichen haben Sie?«
Mansfield runzelte die Stirn. »Weiß ich nicht. Es ist ein Mietwagen.« Er griff in seine Jackentasche und reichte Laurent seine Papiere, der sie mit flinkem Blick überflog und dabei feststellte, dass der Amerikaner einen 7er BMW fuhr, dessen täglicher Mietpreis wahrscheinlich doppelt so hoch wie der Verdienst eines französischen Kommissars war. Er selbst fuhr einen zehn Jahre alten verrosteten Peugeot. »Ihren Antworten nach zu urteilen reisen Sie allein, Monsieur?«
»Ist das wichtig?«, fragte Mansfield leicht verärgert.
»Vielleicht«, antwortete Laurent und blickte von seinem Notizbuch auf.
»Ja, ich reise allein«, erwiderte Mansfield mürrisch.
Der Kommissar wandte sich an Karen. »Und Sie, Madame Alexandre?«
»Ich auch.«
Er machte sich eine kurze Notiz, bevor er wieder aufschaute. »Ist das nicht ein wenig gefährlich, Madame?«
Sie griff sich an die Stirn und versuchte ein Gähnen zu unterdrücken. Es war inzwischen nach zwei Uhr morgens.
»Monsieur Laurent, was schätzen Sie, wie viele ausländische Studentinnen in Paris leben?«
»Mehrere tausend möchte ich meinen.«
»Sehen Sie? Außerdem hatte ich keine Wahl. Mein Studienobjekt betrifft die Sorbonne, und da ich immer alleine arbeite, war das überhaupt keine Frage.«
Laurent nickte langsam, während er schrieb. »Wie Sie meinen.« Er setzte mit seinem Kugelschreiber einen demonstrativen Punkt. »Wollen Sie Anzeige erstatten?«
Mansfield warf Karen einen schnellen Blick zu.
»Nein«, antworteten beide gleichzeitig.
»Wie bitte?«
»Nein«, wiederholte Mansfield seelenruhig.
Der Kommissar holte tief Luft. »Nun noch mal ganz langsam zum Mitschreiben. Man hat Sie mit einem Messer angegriffen und vielleicht sogar versucht Sie umzubringen …«
»Nicht mich«, widersprach Mansfield. »Sie.« Er nickte in Karens Richtung.
Laurent sah ihn verwirrt an. »Aber es waren doch Sie, der
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