Das weiße Grab
wieder und wieder verhört werden. Dann wird er Dinge ausplaudern, die ihn belasten. Immerhin hat er mehrmals seine Schuld eingestanden.«
»Er hat sie nie voll und ganz eingestanden und immer auf eine höchst untertänige Weise, so dass der Wahrheitsgehalt dieser Aussage im höchsten Maße Auslegungssache ist.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie sind sein strenger Vater, und er will alles tun, um Sie gütig zu stimmen. Wenn ich ihn verteidigen sollte, hätte ich wirklich ein paar perfekte Ansatzpunkte.«
»Sie hören sich an, als glaubten Sie wirklich, dass es sich so verhält.«
»Ja, das glaube ich auch. Er spielt Ihnen kein Theater vor. Auch wenn er infantil ist, unbegabt ist er nicht. Er konzentriert sich darauf, Ihnen zu keinem Zeitpunkt etwas zu sagen, das nur er oder vielleicht Sie wissen können. Den Rest gibt er preis, indem er reagiert, wie es ihm gefällt. Eine äußert effektive Strategie, die ihm während des Verhörs einen Pluspunkt verschafft, weil er sich auf nichts anderes konzentrieren muss als darauf, nichts von dem Lippenstift zu sagen oder Ihnen zu verraten, wo er Annie Lindberg Hansson vergraben hat.«
Konrad Simonsens Mundwinkel sackten nach unten. Arne Pedersen fragte: »Sie klingen so, als würde er seine Aussage unter Garantie zurückziehen, sind Sie sich da wirklich so sicher?«
»Davon gehe ich aus, ja. Er hat das bestimmt einkalkuliert. Außerdem wird ihm das sicher auch seine Verteidigerin empfehlen, wenn sie erst das Band des Verhörs abgehört hat. Aber auf diese Dinge verstehen Sie sich besser als ich.«
»Ich kenne sie nicht, ist diese Anwältin gut, Konrad?«, fragte Arne Pedersen.
»Und ob, außerdem hat sie einen verdammt guten Blick für die Realitäten. Sag mal, wo kam die eigentlich her? Die ist ja wie aus dem Nichts aufgetaucht. Er kann sie doch nicht angerufen haben, das hätten wir mitbekommen.«
»Das hat er auch nicht«, sagte Arne Pedersen. »Er hat sein Handy nicht einmal benutzt.«
Konrad Simonsen sagte verwundert: »Dann muss die Presse sie informiert haben. Dabei machen die so etwas doch sonst nicht. Aber es gibt da noch etwas, das ich nicht verstehe; es kann gut sein, dass seine Verteidigungsstrategie im Verhör effektiver ist, als ich gedacht habe, andererseits wäre es doch viel vernünftiger von ihm, überhaupt nicht mit uns zu reden. Wie wir die Sache auch drehen und wenden, wir haben ein Band mit einer Aussage, die ihn nicht gerade in ein positives Licht rückt.«
Ernesto Madsen erklärte:
»So denkt er nicht. In seiner Welt ist das eher ein Kampf zwischen ihm und der Polizei. Er glaubt sicher, gewonnen zu haben, weil er das Verhör überstanden und nichts Unwiderrufbares gesagt hat. Außerdem dürfen Sie nicht vergessen, dass er ziemlich verängstigt war. Er wollte es Ihnen ganz offensichtlich möglichst recht machen.«
»Was ist mit diesem neuen Mädchen, das er aus dem Hut gezaubert hat? Liz Suenson, hat er sie erfunden?«
Arne Pedersen war sich seiner Sache sicher:
»Die hat er erfunden, wir haben den Namen bereits durch den Computer gejagt, und die Schweden auch. Dieser Name taucht in keiner Vermisstenmeldung auf. Außerdem waren sowohl die Schweden als auch wir bei unserem ersten Suchlauf sehr gründlich, alle Frauen sind gecheckt worden, die ins Opferprofil passen. Aber ich muss schon sagen, das hat er ziemlich clever angestellt. Vermutlich war das der einzige Moment, in dem er in dem Verhör die Richtung vorgegeben hat.«
Ernesto Madsen gab eine wesentlich knappere Einschätzung: »Graben Sie tiefer, die entspricht der Wahrheit.«
Konrad Simonsen dachte über die beiden unterschiedlichen Einschätzungen nach und sagte schließlich: »Wir müssen wohl alle das Verhör noch ein paarmal durchgehen und sollten diese Frage vielleicht erst einmal aufschieben. Wir stehen jetzt ja nicht mehr unter solch immensem Zeitdruck, denn, wie die Sache auch ausgeht, fürs Erste wird er wohl nicht auf freien Fuß gesetzt werden.«
Konrad Simonsen konnte gerade einmal eine Stunde an dieser Illusion festhalten.
Der Anruf der Polizeidirektorin, sich unmittelbar bei ihr einzufinden, ließ keinen Zweifel an dem Ernst der Sache. Auch die strenge Miene, mit der sie ihn kurz darauf in ihrem Büro empfing, sprach Bände. Sie war eine großgewachsene Frau mit unterkühlter Ausstrahlung, die aber auf Schamgefühlen basierte und nicht, wie die meisten annahmen, auf Arroganz. Niemand im Präsidium bezweifelte, dass sie alles daransetzte, einen guten Job zu machen,
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