Das weiße Grab
»Nachdem sie ihre Erklärung abgegeben hatte, ist sie verschwunden, arrogant wie eine Eiskönigin. Wenn du mich fragst, ist es zutiefst ungerecht, wie sie dich behandelt hat.«
»Och, solche Kratzer kriegt man schon mal ab.«
Arne Pedersen sah seinen Chef verwundert an. Dann sagte er misstrauisch: »Also, ich wusste ja nicht einmal, dass du die Presse eingeladen hast. Hat das Fräulein Eis & Kälte dich dazu gezwungen?«
»Sprich anständig von ihr. Sie spricht auch immer anständig von dir. Und nein, diese Pressekonferenz habe ich schon heute Morgen geplant, ursprünglich sollte es dabei allerdings nicht um die Abhörung von Poul Troulsen gehen, auch wenn das jetzt sicher im Mittelpunkt stehen wird. Ich hätte übrigens gerne, dass ihr beide teilnehmt, wenn ihr Zeit habt. Dann haben die Fotografen ein Motiv, und ich kann die unangenehmen Fragen an jemanden weitergeben.«
Sie willigten verwundert ein. Sie hatten einen Wutausbruch erwartet, doch stattdessen wirkte ihr Chef so zufrieden wie schon lange nicht mehr.
»Sonst noch etwas?«
»Wir haben uns die Seriennummern von einigen der Scheine besorgt, die Andreas Falkenborg abgehoben hat«, sagte Arne Pedersen, »aber das ist im Moment ja noch nicht von so großer Bedeutung.«
Konrad Simonsen schien der gleichen Meinung zu sein und ignorierte die Mitteilung. »Mehr?«
»Nein, das war’s«, sagten Pauline Berg und Arne Pedersen fast zeitgleich, als Malte Brorup mit der letzten Hiobsbotschaft des Tages ins Büro platzte.
»Habt ihr schon gehört, was dieser Andreas Falkenborg gekriegt hat?«
Die anderen schüttelten den Kopf.
»Ich habe es gerade im Internet gelesen. Der hat nur vier Tage bekommen.«
»Du meinst wohl vier Wochen«, korrigierte Arne Pedersen ihn freundlich.
»Nein, vier Tage. Bis Sonntagmorgen. Da bin ich mir vollkommen sicher. Er kommt nicht mal in Untersuchungshaft, sondern bleibt hier bei uns in der Arrestzelle. Was auch immer das für einen Unterschied macht.«
Sie saßen wie versteinert da und sahen sich entgeistert an. Der Student ließ den Kopf hängen und sah mit seinen strubbeligen Haaren und den traurigen Augen wie ein begossener Pudel aus. Konrad Simonsen fand als Erster die Fassung wieder.
»Na ja, der Unterschied ist, dass wir so kein Wochenende haben«, sagte er ärgerlich.
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37
D ie Befragung des Zeugen Bertil Hampel-Koch entwickelte sich zu einem eher seltsamen Erlebnis in der Karriere der Comtesse.
Das Gespräch war in aller Eile arrangiert worden und fand auf dem Flughafen Kastrup statt, wo Hampel-Koch vor seinem Flug nach Brüssel eine halbe Stunde Zeit hatte. Die Comtesse hätte es natürlich vorgezogen, ihn erst am Montag zu befragen, aber das war in Anbetracht der neuen Situation natürlich nicht möglich. Das Treffen war der erste Teil von Helmer Hammers exakt vorbereitetem Plan, um das Interesse der Presse von Bertil Hampel-Kochs Grönlandreise 1983 abzulenken. Der andere Teil der zweistufigen Informationsrakete sollte während Konrad Simonsens Pressekonferenz um fünf Uhr nachmittags abgefeuert werden.
Als sie im Auto saß und in Richtung Øresund fuhr, überlegte die Comtesse, ob ihr Chef jemals zuvor freiwillig eine Pressekonferenz einberufen hatte; wenn man Helmer Hammers Projekt denn als freiwillig bezeichnen konnte. Sie fragte sich, welche Themen sie bei dem Treffen mit Bertil Hampel-Koch überhaupt ansprechen sollte oder ob das ganze Gespräch bloß pro forma angesetzt worden war, was sie nicht hoffte, denn dann müsste sie für die Journalisten irgendetwas aus dem Hut zaubern. Sie zog ein Gespräch wirklich vor, auch wenn dies ermittlungstechnisch keinen Sinn machte.
Sie fuhr von der Autobahn ab, rollte langsam auf den Parkplatzbereich und fragte sich, ob Hampel-Koch die Logistik wirklich so gut im Griff hatte, wie seine Sekretärin gesagt hatte, als sie die Comtesse instruiert hatte, einfach irgendwo zu parken, sie würde dann schon kontaktiert werden. Der Flughafen war einer der am besten überwachten Bereiche des Landes, so dass ihr Auto sicher fortwährend auf irgendwelchen Monitoren zu sehen war. Ein unangenehmer Gedanke. Sie fuhr langsam weiter, kippte den Rückspiegel und bürstete sich rasch die Haare. Die Unaufmerksamkeit zwang sie zu einer Vollbremsung, als plötzlich eine junge Frau wie aus dem Nichts vor ihr auftauchte. Die Frau sah aus wie die Schaufensterpuppe einer Modeboutique; von einem Ohrring zum anderen grinsend, posierte sie in ihren modischen Klamotten ein paar Sekunden vor
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