Das weiße Grab
natürlich nicht hundertprozentig sicher sein kann. Aber ist das wichtig?«
»Nein, eigentlich nicht. Fangen wir an. Ich habe leider mein Diktiergerät vergessen, so dass ich mir ein paar Notizen machen muss, wenn das für Sie in Ordnung ist?«
Sie deutete auf den Block, der vor ihr lag. Er nickte.
»Im Juni 1983 waren Sie in Verbindung mit der Teilnahme an der Hundeschlittenpatrouille Sirius in Grönland. Ihre Reise führte Sie zur Station Nord in Nordostgrönland, und auf dem Weg dorthin machten Sie eine Zwischenlandung auf der amerikanischen Militärbasis Søndre Strømfjord. Ist das so weit richtig?«
»Ja, das ist korrekt.«
»Sie waren dort vier Tage, genauer gesagt, in der Zeit von Donnerstag, dem 7 . Juli, bis Sonntag, dem 10 . Juli, während Sie auf gutes Wetter warteten, um Ihre Reise fortsetzen zu können.«
»Ja, auch das ist richtig. Das Wetter ist da oben mitunter ziemlich unangenehm, sogar im Sommer. Zurück bin ich über Mestervik an der Ostküste geflogen, da gab es keine Probleme.«
Das war die erste Hürde. Jetzt hatte sie aus erster Hand von der Reise erfahren und konnte die Aussage später mit reinem Gewissen weitervermitteln. Dass Søndre Strømfjord nicht die einzige Zwischenlandung auf seiner Reise zur Station Nord gewesen war und dass das der eigentliche Grund dafür war, dass sie jetzt hier saßen, blieb unausgesprochen. Sie notierte alles sorgsam auf ihrem Block. Als sie fertig war, fragte sie: »Sie haben diese Reise unter dem Namen Steen Hansen unternommen?«
»Ja, das habe ich.«
»Warum?«
Er erzählte von seinem Onkel, der seinerzeit Oberbefehlshaber des dänischen Militärs gewesen war, und von seiner Befürchtung, dass diese familiäre Verbindung sich negativ auf die Schlittenhundetour auswirken könnte. In den Ohren der Comtesse klang seine Erklärung überzeugend, und vermutlich war sie auch korrekt. Dann stellte sie ihre letzte Frage, die einzige Frage, auf die sie die Antwort noch nicht kannte: »Sie haben des Weiteren vorgegeben, Geologe zu sein. Warum das?«
Bertil Hampel-Kochs Wangen bekamen einen rötlichen Schimmer, und er zögerte mit der Antwort.
»Hm, das ist auch ein bisschen peinlich.«
»Machen Sie sich darüber keine Sorgen«, warf die Comtesse beruhigend ein. »Egal, was Sie mir sagen, ich habe bestimmt schon davon gehört. Außerdem ist es nicht an mir, über Sie zu urteilen, und ganz sicher nicht über etwas, das fünfundzwanzig Jahre zurückliegt.«
Die Worte halfen ihm auf die Sprünge: »Ich war damals frisch verheiratet, und wir erwarteten unser erstes Kind. Das war natürlich wunderbar, aber es hat mir auch ein wenig Angst gemacht. Und auf dieser Basis hatte ich dann plötzlich die Möglichkeit, vollkommen anonym zu sein. Ich dachte, wenn ich noch dazu die Unwahrheit über meine Arbeit sagte, würde niemand mich jemals aufspüren können, wenn ich weiterzog. Auch wenn … auch wenn sich das im Nachhinein ja als falsch erwiesen hat.«
Sie machte eine Pause, um ihn unter Druck zu setzen, damit er von sich aus alles erzählte.
»Auf diese Weise konnte ich noch einmal für ein paar Tage Junggeselle sein, wenn Sie verstehen.«
»Ja, ich glaube, ich habe das verstanden.«
»Mein Gott, ich war damals achtundzwanzig. Heute würde ich mich niemals mehr so aufführen.«
Er sah sie flehend an, und sie stellte zu ihrer Überraschung fest, dass er wirklich auf ihr Verständnis hoffte.
»Tja, die Gedankengänge so mancher Männer werden mit den Jahren etwas ruhiger«, sagte sie beiläufig. »Sie haben auf der Basis dann eine Krankenschwester kennengelernt, Maryann Nygaard.«
Er schlug den Blick nieder.
»Ja, und ich habe …«
»Moment, Moment«, unterbrach die Comtesse ihn rasch. »So intim brauchen Sie nicht zu werden, das ist für mich nicht relevant. Ich interessiere mich nicht für solche Details.«
Ebenso gut hätte sie sagen können, dass sie sich von jetzt an nur noch dafür interessierte, dass die Zeit verging, um irgendwann mit Fug und Recht behaupten zu können, ihn vernommen zu haben. Er antwortete erleichtert: »Gut, wenn das so ist.«
Bertil Hampel-Koch war ein miserabler Zeuge, was die nächsten zwanzig Minuten nicht gerade leichter machte. Von seinem Aufenthalt auf der Basis wusste er so gut wie nichts mehr, und das wenige, an das er sich erinnerte, war für die Comtesse belanglos. Zu guter Letzt legte sie ihm ein Bild von Andreas Falkenborg im Jahre 1983 vor.
Bertil Hampel-Koch sah sich das Foto lange an. Es gab keinen Zweifel
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