Das weiße Grab
vermutlich ziemlich bald. Er hat sicher nicht vor, sie länger als unbedingt nötig festzuhalten.«
»Und was kann ihn aufhalten, ich meine, gibt es überhaupt irgendeinen Grund zur Hoffnung?«
»Letzteres kann ich nicht beantworten, aber mit Blick auf den ersten Teil Ihrer Frage spielt es sicher eine Rolle, dass er erst einmal die Rahmenbedingungen schaffen muss, die er für seine Morde braucht.«
»Sind die so wichtig für ihn?«
»Ungeheuer wichtig, er wird nicht einen Millimeter davon abweichen. Alles muss genauso sein wie bei seinem vorherigen Mord, bis ins letzte Detail. So wissen wir zum Beispiel, dass er so tut, als würde er den Frauen die Nägel schneiden, die keine langen …«
Konrad Simonsen unterbrach ihn.
»Nicht so viele Einzelheiten.«
Die Sekretärin der Justizministerin konterte: »Doch, ich würde das gerne hören.«
Ernesto Madsen hielt sich trotzdem an Konrad Simonsens Wunsch und schloss:
»Alles muss genau so sein wie immer.«
Die Anwesenden brauchten ein paar Sekunden, um die Botschaft zu verdauen.
»Aber was an dieser Vorbereitung braucht denn so viel Zeit?«, fragte Bertil Hampel-Koch.
»Leider dauert die ganze Vorbereitung wirklich nicht so lange, aber auf jeden Fall braucht er einen Lippenstift in einem bestimmten Rotton. Wenn er keinen hat, ist er gezwungen, in einen Laden zu gehen.«
Alle wussten, wie schnell man sich so etwas besorgen konnte, aber Konrad Simonsen versuchte trotzdem, optimistisch zu bleiben. »Denken Sie daran, dass überall nach ihm gefahndet wird, vielleicht ist es deshalb doch nicht so leicht für ihn, wie es sich anhört.«
»Außerdem muss er ihre Gräber ausheben, bevor er sie umbringen kann«, ergänzte der Psychologe. »Auch dieser Prozess könnte ihn aufhalten. Er hat diese beiden Entführungen ja ohne jede Vorbereitung durchgeführt, quasi spontan. Bei seinen anderen Morden war immer alles bis ins Detail vorbereitet, ehe er seinen Opfern aufgelauert hat. Dieses Mal war das sicher nicht der Fall.«
Die Anwesenden waren skeptisch. Die Chancen für die beiden Frauen standen nicht gut.
Es gab weitere Fragen an Ernesto Madsen.
»Würde es helfen, sich öffentlich an ihn zu wenden, ich meine, über das Fernsehen? Vielleicht ein Appell von jemandem, den er kennt?«, fragte der oberste Polizeichef, ohne die Brille abzusetzen. Der Gedanke war ebenso naheliegend wie konstruktiv, aber Ernesto Madsen fegte den Vorschlag vom Tisch: »Das würde nicht im Geringsten helfen.«
»Bringt er sie gemeinsam oder einzeln um?«, wollte der Mann vom Nachrichtendienst wissen.
Ernesto Madsen verstand ihn falsch: »Meinen Sie in der gleichen Plastiktüte?«
Der Mann vom Justizministerium grinste höhnisch, wurde aber gleich von den wütenden Blicken der anderen zurechtgewiesen.
Der PET -Chef ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, sondern korrigierte sich selbst: »Das war blöd formuliert, tut mir leid. Ich wollte wissen, ob er zwischen den Morden Zeit verstreichen lässt?«
»Das ist eine gute Frage«, erwiderte Konrad Simonsen, »die ich selbst hätte stellen müssen.«
Ernesto Madsen sagte zögernd: »Ich habe eigentlich noch nicht darüber nachgedacht, aber jetzt, da wir es angesprochen haben … Alles muss so sein wie immer, sonst ist das Ganze für ihn nicht richtig. Das ist ein guter Aspekt, ich würde davon ausgehen, dass er sie nicht gleichzeitig umbringt. Vermutlich schließt er den ersten Mord erst ab, ehe er sich um die andere kümmert. Ja, so wird es ablaufen, zwei auf einmal ist unwahrscheinlich. Es kann gut sein, dass er sogar einen ganzen Tag zwischen den Morden verstreichen lässt. Je nachdem, wie das praktisch möglich ist. Das sind jetzt aber keine rein psychologischen Schlussfolgerungen, da ist sicher auch ein bisschen Wunschdenken dabei.«
Die Sekretärin der Justizministerin fragte mürrisch: »Wenn Sie ihn finden – sollten Sie ihn finden –, wollen Sie ihn nur observieren und nicht festnehmen? Sind alle dieser Meinung?« Die Frage war direkt an Konrad Simonsen gerichtet.
»Nein, bestimmt nicht«, antwortete er, »aber ich bin der Meinung, dass unsere beste Chance, die Frauen zu retten, darin besteht, ihm zu folgen. Ich räume aber gerne ein, dass auch ich Zweifel habe. Des Weiteren kommt es auch darauf an, wann wir ihn finden. Er darf auf keinen Fall die Gelegenheit bekommen, noch tagelang herumzulaufen. Andererseits sind wir überzeugt davon, dass er sich weigern wird, mit uns zu reden, wenn er erst in Haft ist, und dann befinden wir
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