Das weiße Grab
nichts. Er kratzte sich mit dem Fingerknöchel an der Stirn und sagte ruhig: »Es gibt auch noch eine andere Möglichkeit.«
Die nachfolgenden zwei Sekunden schienen endlos zu sein. Die Comtesse blickte zu Boden und hielt den Mund. Konrad Simonsen starrte sie bestürzt an.
»Sagt mal, seid ihr wahnsinnig? Nein, unter keinen Umständen. Absolut nein!«
Der PET -Chef stand auf und verließ das Büro. Kurz darauf ging auch Konrad Simonsen. Die Comtesse sah ihm nach, sie hatte die Lippen zusammengekniffen und dachte, dass ihr Geliebter manchmal ein richtiger Idiot war. Es wäre so leicht für sie gewesen, Arne Pedersen einfach machen zu lassen. Sie hätte die SMS nur ignorieren müssen. Aber diesen Entschluss musste Konrad Simonsen fällen und sonst niemand.
Der Nachtportier des Hotels öffnete die Tür viel zu schnell, als Arne Pedersen ihm durch das Glas seinen Polizeiausweis zeigte. Schon das hätte ihn warnen müssen. Spätestens aber, als er ohne jeden Einwand einen Universalschlüssel samt der Zimmernummer von Andreas Falkenborg ausgehändigt bekam. Der junge Mann hinter dem Tresen zeigte ihm mit ausgestrecktem Finger den Weg: »Nummer 12 , über den Flur geradeaus und dann die dritte Tür links.«
Arne Pedersen atmete tief durch, bevor er vorsichtig die Tür öffnete und den Raum betrat. Während seine Augen sich an das Dunkel gewöhnten, nahm er den Schlagstock heraus und ging die wenigen Schritte durch den kleinen Zimmerflur. Vorsichtig suchte er an der Wand nach einem Lichtschalter, doch noch bevor er ihn fand, war es mit einem Mal gleißend hell. Die Geschehnisse überrumpelten ihn, und er brauchte einen kurzen Moment, um zu erkennen, dass auf dem Bett des Zimmers zwei Männer in seinem Alter saßen und ein dritter einen halben Meter von ihm entfernt stand.
»Guten Abend, Arne.«
Er drehte sich zur Tür um, durch die er gerade gekommen war, aber der Mann an seiner Seite sagte: »Sparen Sie sich die Mühe, draußen stehen zwei weitere Kollegen.«
Arne Pedersen ließ den Schlagstock fallen, der mit einem dumpfen Laut auf dem Teppich aufschlug.
»Und jetzt?«, fragte er.
»Nichts, wir fahren Sie zurück zu Konrad. Aber wir verstehen Sie verdammt gut.«
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59
D er nächste Tag zehrte die Mitarbeiter des Morddezernats richtiggehend aus und ließ sie um Jahre altern. Sogar der PET -Chef, der den Gerüchten zufolge schon einiges durchgemacht haben soll, erlaubte sich den gleichen schleppenden Gang und betrübten Ausdruck, der auch auf den Gesichtern von Konrad Simonsen, Poul Troulsen und Ernesto Madsen zu erkennen war. Nur die Comtesse überstand die Krise, ohne ihre Verzweiflung zur Schau zu stellen, was alle überraschte, war sie doch diejenige, die die engste Beziehung zu Pauline Berg hatte. Sah man einmal von Arne Pedersen ab, der nach dem nächtlichen Vorfall nun die meiste Zeit unter der Aufsicht eines jungen Beamten in seinem Büro zubrachte und unproduktiv vor sich hin starrte. Auch Malte Brorup war überlastet, funktionierte aber noch einigermaßen normal. Am Freitagmorgen fand er die Comtesse allein an einem Tisch in der Kantine vor, wo sie frühstückte.
»Darf ich mich zu dir setzen?«, fragte er.
»Natürlich darfst du das. Sag mal, willst du wirklich bloß eine Cola? Davon kann man doch nicht satt werden? Was kriegst du eigentlich zu essen?«
»Nicht so viel, fürchte ich.«
»Hast du kein Geld?«
»Doch, das ist nicht das Problem. Ich habe einfach keinen Hunger.«
Die Comtesse schmierte ihm ein Brötchen und reichte es ihm.
»So, das isst du jetzt.«
Der Student gehorchte ihr brav und aß ohne großen Appetit. Zwischen zwei Bissen sagte er: »Wie aussagekräftig ist eigentlich so ein DNA -Test? Ich meine, können wir zu hundert Prozent davon ausgehen, dass sie nicht tot ist?«
»Ein DNA -Test liefert ein absolut sicheres Ergebnis, aber eigentlich wissen wir dadurch nur, dass Jeanette Hvidt mit ziemlicher Sicherheit tot ist. Es war ihre DNA an dem Lippenstift, mit dem er die Markierung in seiner Maske gemacht hat. Ob Pauline lebt, wissen wir nicht. Ich dachte, du wüsstest das.«
»So hatte ich das auch verstanden. Und was glaubst du? Ist Pauline tot?«
»Das ist unmöglich zu sagen, und ich glaube gar nichts.«
»Ich glaube, sie lebt. Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher.«
»Das ist gut.«
»Ich wünschte, wir könnten diesen Mörder finden und ihn so lange bearbeiten, bis er uns sagt, wo er sie versteckt hat. Ich weiß ja, dass wir das nicht dürfen, aber ich
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