Das weiße Grab
gewinnen, das ist doch nicht gesund. Mentalhygienisch tut es Ihnen bestimmt gut, wenn Sie hier noch eine Viertelstunde herumirren.«
»Wir gewinnen alle, das ist ja gerade die Kunst, aber okay. Ich versuche selbst, nach draußen zu finden. Grüßen Sie Ihre Tochter, ich hoffe, dass wir uns bald wiedersehen, und schlafen Sie gut, Konrad.«
[home]
5
D er Chef schlief, und die Pause der ersten Besprechung der Mordfälle Maryann Nygaard und Catherine Thomsen zog sich in die Länge. Die Mitarbeiter hatten untereinander viel zu bereden, und Arne Pedersen, der die weitere Besprechung leiten sollte, war froh über ein paar zusätzliche Minuten, um sich vorzubereiten. Er stand etwas abseits und studierte die einzelnen Powerpointfolien und Simonsens Notizen. Pauline Berg ging zu ihm. Er blickte kurz auf und machte eine abwehrende Geste: »Was es auch ist, Pauline, das muss jetzt warten.«
Sie schnappte sich seinen Kugelschreiber.
»Mensch Pauline, kannst du mich nicht mal in Ruhe lassen? Verstehst du denn nicht, dass ich das vorher durchgehen muss? Oder willst du das übernehmen und uns alle informieren, ich setze mich gerne zu den anderen und höre dir zu?«
Pauline Berg setzte ihr süßestes Lächeln auf. Nicht ohne Effekt.
»Du schaffst das schon.«
»Dein Optimismus freut mich. Klar schaffe ich das, die Frage ist nur, wie. Also, was gibt’s? Hat es etwas damit zu tun, dass du den beiden Ermordeten so ähnlich siehst? Dagegen kann man kaum etwas machen, aber ich verstehe gut, dass du reagiert hast, als dir das bewusst geworden ist.«
»Das ist schon ziemlich
creepy,
aber ich habe blaue Augen, und auch meine Haarfarbe passt nicht ganz. Wohl war mir aber trotzdem nicht, als ich das realisiert habe. Alle haben mich angesehen, aber gesagt hat keiner was.«
»Niemand hat dich angesehen. Also, was willst du?«
»Das da oben auf der Leinwand, was ist das?«
Arne Pedersen blickte auf und sah das Startbild: ein seltsames Gebäude, das am ehesten einer Ölbohrplattform glich, die ein gewaltiges Ei zu verspeisen versuchte. Er schluckte seinen Ärger herunter.
»Das ist diese DYE - 5 -Station, das steht doch drunter.«
»Sonderlich groß war die aber nicht.«
»Nicht? Das würde ich nicht gerade sagen, das Gebäude stand auf acht Säulen und war sechs Stockwerke hoch. Die Kuppel ganz oben ist das Radar, sie ist mit Plastik überzogen, deshalb sieht sie so weiß aus. Wenn du einen Blick auf die Frau wirfst, die vorne links vor der Säule steht, bekommst du einen Eindruck von der wirklichen Größe. Es muss eine Wahnsinnsarbeit gewesen sein, dieses Ding da draußen zu bauen, denkt man daran, dass jedes noch so kleine Bauteil eingeflogen werden musste.
Eyes of freedom,
also die Augen der Freiheit, nannten die Amerikaner ihre Radarstationen.«
Pauline Berg wedelte die Informationen wie eine lästige Fliege weg, aber Arne Pedersen fuhr unbeeindruckt fort: »Das ganze Gebäude kann bei mehr Eis oder Schnee angehoben werden. Die Konstruktion ist dadurch viel …«
Sie unterbrach ihn ärgerlich: »Deine Säulen und Etagen sind mir egal. Wo sind denn die anderen?«
»Wenn du noch zwei Minuten wartest, erkläre ich dir alles bis ins Detail. Dann kriegst auch einige Bilder vom Inneren des Gebäudes zu sehen.«
»Ja, aber … gibt es denn nur das eine, Arne? Ich meine … was ist denn mit den anderen Gebäuden?«
»Außer dem hier gibt es noch die vier anderen DYE -Stationen.«
»Aber die waren weit weg, nicht wahr?«
»Stimmt, die haben so eine Art Kette gebildet, auch wenn die DYE - 5 nicht in einer Linie mit den anderen war.«
»Aber das geht doch nicht, dann passt das ja nicht.«
»Was passt dann nicht, Pauline?«
Pauline hoffte immer darauf, irgendwann einmal diejenige zu sein, die einen der großen Fälle aufklärte. Sie hatte bereits einmal eine wichtige Harddisk gefunden, die sonst niemand hatte finden können, und genoss die Erinnerung daran noch heute. Ansonsten gab es kaum etwas, womit sie prahlen konnte. Sie wusste, dass sie naiv und romantisch veranlagt war, und behielt ihre Tagträume deshalb für sich, sah man von dem einen Mal ab, als sie mit Arne Pedersen gesprochen hatte … ja, und vielleicht auch ein- oder zweimal mit der Comtesse, aber das hatte sie sicher längst vergessen. Aber wenn sie jetzt recht hatte, wenn ihre Hypothese stimmte … sie wagte es kaum, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Sie spürte den Tatendrang in sich brodeln und ließ sich auch von Arne Pedersens Ermahnung nicht aufhalten,
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