Das weiße Grab
Schimpfworten abgefeuert. Zum Schluss musste ich sogar selbst laut werden, um überhaupt eine Chance zu bekommen, ihr mein Anliegen mitzuteilen, aber das hat keinen Eindruck auf sie gemacht. Sie ist ein Mensch mit einem verkümmerten Gemeinschaftssinn.«
»Was hat sie konkret gesagt?«
»Dass ich mich zurück in meine Erdhütte in Jütland verpissen soll. Ich wohne schon seit dreißig Jahren nicht mehr in Jütland, sie muss also ein verdammt gutes Sprachgehör haben.«
»Das war alles?«
»Nein, ich habe ihr noch meine Karte gegeben, sollte sie doch noch auf andere Gedanken kommen.«
»Lass mich mal raten, die hat sie zerrissen und dir ihre gegeben und dir einen Job angeboten?«, fragte Pauline Berg.
»Ja, ganz genau. Die ist wirklich frech.«
»Hattest du denn den Eindruck, dass sie uns etwas über ihre Zeit bei Familie Falkenborg erzählen könnte?«, fragte Konrad Simonsen.
»Ja, ich denke schon, denn unmittelbar bevor sie mir die Tür vor der Nase zugeknallt hat, hat sie uns noch ein Angebot gemacht. Wenn ihr das Finanzamt die 36 000 Kronen zurückbezahlt, die es ihr vor vier Jahren unrechtmäßig abgenommen hat, könnte sie uns schlüpfrige Sachen über Andreas Falkenborg und seine verfickte Familie erzählen. So etwas in dem Stil – ganz wortgetreu ist das nicht, aber fast.«
Konrad Simonsen dachte nach. Die Servietten waren aufgebraucht, und er hatte die Plastikhülle zu einer Rolle zusammengedreht, die jetzt als ein wippender Taktstock fungierte, um das Orchester seiner Gedanken zu dirigieren. Das Tempo war Andante. Nach einer Weile fragte er: »Hattest du das Gefühl, dass der Laden lief?«
»Ich habe ein paar Kunden gesehen, aber Hochbetrieb herrschte nicht. Außerdem wohnt sie im ersten Stock und hat einen separaten Eingang, so dass ich nicht die Chance hatte, das Etablissement von innen zu sehen.«
Konrad Simonsen wandte sich an Pauline Berg.
»Du sagst, sie ist geldgeil?«
»Mehr als das.«
»Okay, die kriegen wir, aber vermutlich müssen wir bis Montag warten.«
»Ich wette eine gute Flasche Rotwein, dass du das nicht schaffst«, warf Pauline Berg zweifelnd ein.
Ihr Chef zeigte auf die drei Frauenbilder, die an seiner Tafel hingen.
»Ich glaube nicht, dass es den dreien gefallen würde, dass wir so leichtfertig mit diesem Fall umgehen. Für sie war das kein Spiel, und das ist es für uns auch nicht.«
Pauline Berg entschuldigte sich und zog den Kopf ein. Sie vermisste die Comtesse, die längst hätte kommen sollen.
Konrad Simonsen ließ die widerspenstige Puffmutter erst einmal außen vor und fragte:
»Was ist mit den übrigen Dienstmädchen? Ich gehe davon aus, dass die nicht alle so unmöglich waren wie Agnete Bahn.«
Pauline Berg riss sich zusammen und antwortete tonlos:
»Nein, das waren sie nicht. Die meisten erinnerten sich ziemlich gut an ihre Zeit bei den Falkenborgs. Es zeichnet sich dabei ein recht klares Bild dieser Familie ab. Alf Falkenborg, also Andreas’ Vater, war ein Haustyrann, wie er im Buche steht. Er und nur er entschied, was in diesem Haus geschah, die Mutter wurde vollkommen unterdrückt. Er ging mitunter sogar so weit, sie zu prügeln, wohingegen er nie die Hand gegen seinen Sohn erhoben hat. Darüber hinaus hat er Affären gehabt, teilweise sogar im eigenen Haus. Darunter auch mit mindestens drei der Dienstmädchen, mit denen wir gesprochen haben, aber darauf komme ich noch zurück. Aber auch Elisabeth Falkenborg war nicht gerade ein Engel. Weil sie von ihrem Mann unter Druck gesetzt und gedemütigt wurde, hackte sie wie eine Verrückte auf den Dienstmädchen herum. Vielleicht hatte das auch mit Eifersucht zu tun. Nichts, was die Mädchen taten, war gut genug, und manchmal lief sie ihnen richtiggehend nach und suchte nach jedem Haar in der Suppe.«
»Warum sind die nicht gegangen? Das müssen doch unerträgliche Zustände gewesen sein«, fragte Poul Troulsen.
»Ein paar haben gleich wieder gekündigt. Aber für die meisten war das nicht so einfach. Zwei kamen zum Beispiel aus Fünen und hatten keine Lust, sich zu Hause vorwerfen zu lassen, dass sie zu schnell das Feld geräumt hatten. Außerdem bezahlte der Fabrikant gut. Der Lohn lag fast dreißig Prozent über dem damals üblichen Gehalt für Dienstmädchen, dazu kommt aber sicherlich noch, dass er einige von ihnen wirklich hinters Licht geführt hat.«
Sie trank einen Schluck Wasser, blätterte durch ihre Notizen und fuhr fort: »Andreas Falkenborg fürchtete seinen Vater und sah gleichzeitig zu ihm
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