Das weiße Grab
Details können wir dann ja später besprechen. Also los, raus mit dem Namen.«
»Na gut, meine Eltern waren Hippies, sie haben, als ich klein war, in einer Kommune gewohnt und mich deshalb auch nach ihrem großen Vorbild benannt. Kennen Sie Che Guevara?«
»Den von den T-Shirts?«
»Ha, das hätten sie hören sollen. Ja, genau der von den T-Shirts.«
»Was ist mit dem?«
»Er und ich haben den gleichen Vornamen. Wir heißen beide Ernesto.«
Pauline Berg starrte ihn ungläubig an.
»Ernesto? Du heißt Ernesto? Ernesto Madsen?«
»Ja, leider.«
Tränen stiegen ihr in die Augen.
»So schlimm ist das doch auch nicht.«
Der Satz wäre ihr fast vollständig über die Lippen gekommen, aber eben nur fast, denn das unterdrückte Lachen drang ihr wie ein tiefes Brodeln aus der Nase und verriet sie. In der nächsten Sekunde heulte sie vor Lachen. Sie streckte die Hände über den Tisch aus und hielt die seinen fest, als wollte sie gleichzeitig um Verzeihung bitten. Zum Glück war ihr Lachen ansteckend, und er lachte mit, ja sogar das Paar am Nachbartisch fiel schließlich in ihr Lachen ein, ohne zu wissen, worüber sie eigentlich lachten.
»Ernesto Madsen! Nein, das ist ja wirklich verrückt. Mein Gott, wie blöd für dich.«
»Danke für deine Ehrlichkeit, Pauline, gefällt mir auch nicht.«
Erst beim Kaffee hatte sie sich wieder so weit gesammelt, dass sie ihre eigentliche Frage stellen konnte.
»Das, woran ich im Zusammenhang mit Andreas Falkenborg gedacht habe … ich meine, erinnerst du dich an Konrads Frage, ob er beim Verhör ein Geständnis ablegen wird?«
»Natürlich erinnere ich mich daran. Wie vergesslich soll ich denn sein? Und ich weiß auch noch, dass ich ihm keine brauchbare Antwort geben konnte.«
»Okay, einverstanden … aber wie wäre das, wenn er von jemandem verhört würde, der seinen Opfern ähnlich sieht? Ich meine, wenn der oder besser die, die ihn verhört, wie die Frauen aussieht, die er umgebracht hat? Also vom gleichen Typ ist, wenn du verstehst?«
»Wo wollt ihr denn so eine herkriegen?«
Offensichtlich ist er besser dazu geeignet, in Leute hineinzublicken, als sie sich anzuschauen, dachte Pauline Berg, aber für ihre aktuelle Situation war das ein klarer Vorteil. So musste sie ihm nicht alle möglichen Versprechen geben.
»Na ja, das ist ja alles sehr theoretisch, aber versuch dir doch mal vorzustellen, wir hätten so jemanden?«
Er dachte eine Weile nach und antwortete zögernd: »Ich denke, dass ihm das einen fürchterlichen Schrecken einjagen würde, vielleicht würde er auch gestehen, wenn er dazu in diesem Moment überhaupt noch in der Lage wäre – einfach, um aus dieser Situation zu entfliehen. Aus seiner Sicht wäre das so etwas wie Folter. Aber ich würde ein solches Experiment auf keinen Fall machen, nicht einmal als allerletzten Ausweg, denn wenn er jemals wieder aus dem Gefängnis kommen würde, ist ziemlich klar, was passiert. Dafür muss man wirklich nicht viel Fantasie haben.«
»Aber er würde gestehen?«
»Vielleicht, ja, wenn er nicht vollkommen zusammenbricht.«
»Danke, ach, ich liebe dich einfach.«
»Braucht es dafür nicht ein bisschen mehr?«
»Nein, ich bin eine Frau, die keine hohen Ansprüche stellt, Ernesto.«
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26
D ie Sozial- und Kulturdirektorin der Gemeinde Gribskov, Helle Oldermand Hagensen, war eine mächtige Person, die viel von ihren Mitmenschen erwartete, wenn dies für sie von Vorteil war. So auch an diesem Abend. Die Comtesse folgte einem schmalen Kiesweg durch Tisvilde Hegn, der schließlich auf einem öden Parkplatz endete, auf dem nur zwei Autos standen. Ein Renault älteren Datums und der schwarze Audi der Sozialdirektorin, den die Comtesse schon am Vortag gesehen hatte. Die Frau war nicht zu sehen, so dass die Comtesse selbst zum Museum finden musste. Sie stieg aus dem Auto aus und warf einen kritischen Blick zum Himmel. In Anbetracht des sich nähernden Unwetters versicherte sie sich, dass sie ihren Regenschirm eingepackt hatte, bevor sie auf ihre Uhr sah. Sie hatte noch reichlich Zeit.
Der Weg vom Parkplatz schlängelte sich durch die unregelmäßige Moränenlandschaft. Nur wenige windschiefe Büschchen versperrten den Blick auf das Kattegat, das bleigrau und regenschwer vor ihr lag. In der Ferne ging das Grau des Wassers in das Dunkel der sich rasch nähernden Wolken über. Als sie die ersten Tropfen auf dem Kopf spürte, beschleunigte sie ihre Schritte, um schnell zu ihrem Bestimmungsort zu kommen.
Das Gebäude
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