Das weisse Kaenguruh
einen Schwebezustand zu geraten. Es war, als hätte eine seltsame Kraft Besitz von ihm ergriffen, die mit jedem Moment stärker wurde, ihn bei der Hand nahm und durch die Zeit zu einem Ziel führte. Irgendwann konnte er gar nicht mehr anders, als sich dieser Kraft vollends anzuvertrauen und selbst den letzten Zweifel abzuschütteln.
Und so hatte er am Sonntag eine Entscheidung getroffen, die endgültig war. Ja, er würde alles genauso machen, wie Johann es ihm aufgetragen hatte, und zwar ohne Eigenmächtigkeiten und ohne Widerrede. Ja, er würde dem Bigbird den Bauch aufschneiden und ihn anschließend mit seinen Kanonenkugelnfüllen. Ja, er würde dann mit ihm auf den Starnberger See hinausfahren und ihn zwischen elf und drei nach elf ins Wasser lassen. Und ja, er würde schließlich sogar so weit gehen, daran zu glauben, daß dann – und nur dann – alles genauso passierte, wie Johann es vorhergesagt hatte. Er würde seine Bestimmung erkennen und anschließend sein Glück finden. Ja, er wollte es. Ganz einfach. Und er glaubte wirklich daran. Gerade, weil es ganz und gar unglaublich war.
Countdown.
Am Mittwochmorgen schlief Billy relativ lange aus und ging nach dem Frühstück in ein Eisenwarenfachgeschäft, das er ein paar Tage zuvor in der Schwanthalerstraße entdeckt hatte. Eisen Kaplonski hieß der Laden, er war bestens sortiert und auch den Mitarbeitern war nichts Menschliches fremd. Nachdem Billy dem ersten Eisenwarenfachverkäufer erklärt hatte, worum es ging, rief der gleich drei weitere Kollegen zusammen, um mit ihnen gemeinsam darüber zu beratschlagen, was in diesem Fall die beste Lösung sei. Am Ende verkauften sie Billy ein Teppichmesser, zwei Meter Edelstahldraht und eine normale sowie eine Nietenzange samt Nieten. Die Idee mit den Nieten hatte der Chef persönlich. »Wenn Sie die Haut von ihrem Vogel einfach nur mit einem Draht wieder zusammenflicken, dann reißt das aus. Aber mit diesen Nieten hier reißt nirgendwo nichts mehr aus.«
Zufrieden mit der Lösung und auch mit dem Preis machte sich Billy anschließend auf den Weg zum Starnberger See. Es war kurz nach zwei, als er in Münsing die östliche Uferstraße erreichte. Dort bog er links ab und fuhr noch einen guten Kilometer weiter in Richtung Süden, um schließlich an die Stelle zu gelangen, die er sich für sein Unternehmen ausgeguckt hatte. Eine kleine, halbrunde Bucht, gesäumt voneinigen Bäumen und Sträuchern. Der Strand war aus unterschiedlich großen Kieseln und führte flach in den See hinein. Von hier aus wollte er sein großes Abenteuer starten, und auch das Ruderboot hatte er schon klargemacht. Er würde es sich einfach bei dem Segelverein ausborgen, der nur wenige Meter weiter sein Quartier hatte.
Bis es soweit war, gab es aber noch eine Menge zu tun. Nachdem Billy das Auto am Waldrand links der Straße geparkt hatte, löste er die Seile, mit denen der Bigbird auf dem Dach festgezurrt war und schleppte ihn ans Ufer. Dort angekommen breitete er eine große Decke aus, klappte die Beine des Bigbirds nach vorn, setzte ihn auf die Decke und sich selbst daneben. Und dann wurde erst einmal ausgiebig gevespert. Auf dem Weg zum See hatte Billy bei einem Feinkosthändler noch großzügig eingekauft. Es gab verschiedene Wurstspezialitäten und frisches Brot, dazu eine Portion original bayrischen Obatzten, zum Nachtisch einen Joghurt mit frischen Himbeeren und zum Runterspülen stilles Wasser und eine gute Flasche Rotwein.
Gegen vier Uhr war Billy satt und hatte einen leichten Schwips. Er fühlte sich genau in der richtigen Stimmung, dem Bigbird nun endlich den Bauch aufzuschneiden. »Chirurgen sind schließlich auch immer unter Strom, wenn Sie operieren«, dachte er sich. So ging er beschwingt zu seinem Auto, holte sein O P-Besteck sowie die Kiste mit den acht Kanonenkugeln und machte sich frisch ans Werk.
Mit dem Teppichmesser schnitt er den Bauch des Bigbirds waagerecht und auf einer Länge von etwa vierzig Zentimetern auf, plazierte anschließend oben und unten jeweils zehn Nieten, drückte dem Bigbird danach und sehr vorsichtig die Kanonenkugeln in seinen Körper hinein, achtete darauf, daß sie gleichmäßig verteilt waren und verschloß das Loch im Bauch schließlich wieder mit dem Draht, den er sich vorher mit seiner Zange paßgenau zusammengezwickt hatte.Alles in allem dauerte die Operation mehr als eineinhalb Stunden. Der Bigbird machte währenddessen übrigens keinen Mucks.
Dann hieß es warten. Satte dreieinhalb Stunden
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