Das weisse Kaenguruh
lang saß Billy einfach nur auf seiner Decke und schaute auf den See. Denken tat er dabei nicht viel. Einmal dachte er, es sei vielleicht Zeit für den dritten und letzten Joint, den er noch hatte. Aber irgendwie fand er das dann doch keine so gute Idee. Er wußte ja nicht, was ihn erwartete, da draußen um elf auf dem See, und daher entschied er sich lieber für klare Abläufe in den Synapsen.
Die Zeit schlich dahin, Minute um Minute verging und langsam, aber stetig machte sich in Billy dann doch eine gewisse Unruhe breit. Machen konnte er nichts dagegen. Im Gegenteil. Die Unruhe wurde immer größer, schaffte sich Platz, besetzte nach und nach selbst die entlegensten Winkel seines Körpers und wurde schließlich so unerträglich, daß Billy es nicht mehr aushielt. Er mußte sich ablenken. Es war mittlerweile neun Uhr und bereits dunkel geworden, und daher machte er sich auf, um das Ruderboot zu holen.
Er schlich sich an den Segelverein heran, stieg über den Zaun, ließ ein schönes großes Holzboot zu Wasser, ruderte am Ufer entlang zurück zu seiner kleinen Bucht und legte dort vorsichtig an. Dann trank er die Rotweinflasche leer, brachte anschließend und mit einiger Mühe den Bigbird an Bord und zurrte ihn mit einem Spanngurt auf einer der beiden Sitzbänke fest, damit er ja nicht ins Wasser fiel, bevor seine Zeit gekommen war.
Und dann ging es los. Um zehn Uhr stach Billy in See. Was für ein Bild. Billy saß hinten und ruderte, und der Bigbird saß vorne und schaute ihm zu. Der See lag ruhig in tiefer Nacht, und Billy legte sich in die Riemen. Schlag um Schlag ruderte er hinaus, immer weiter in eine Richtung, und schaute dabei nicht mehr ans Ufer zurück, sondern nur noch ab und zu aufsein Handy. Vor dem Ablegen hatte er bei der Zeitansage angerufen, um die Uhrzeit abzustimmen.
Um Punkt 22.34 Uhr hielt er ein. Er war in der Mitte des Sees angekommen und von jetzt an hatte er noch genau 26 Minuten. 26 Minuten bis zum großen Augenblick. 26 mal lächerliche 60 Sekunden, bis es endlich passierte. Oder auch nicht? Wer wußte das schon.
Billy holte die Ruder ein und schaute sich um. Das Wasser war glatt und schwarz, eine kaum wahrnehmbare Brise strich über den See und am Himmel fehlte der Mond.
Und dann war der entscheidende Moment da. Billy hatte den Bigbird gerade losgebunden, als die Uhr seines Handys auf 23:00 umsprang.
Keine zwei Minuten später war vom Bigbird nichts mehr zu sehen.
Daheim.
Billy hatte es geschafft. In Rekordzeit. Normalerweise brauchte er für den Weg von der Arbeit nach Hause gute 25 Minuten. Auch als mittlerweile über Dreißigjähriger zog er das gemütliche Gleiten über den Asphalt der sinnfreien Raserei eindeutig vor. Aber heute war nicht alle Tage. Heute erwartete er hohen Besuch und da zählte jede Sekunde. Deshalb hatte er ausnahmsweise kräftig Gas gegeben und das Letzte aus seiner Karre herausgeholt. Was eine Menge war. Stolze 218 PS hatte sein BMW unter der langgezogenen Haube. Es war ein 635 CSI von 1986, außen in gold-metallic lackiert und innen mit braunem Büffelleder bezogen, er hatte selbstverständlich ein Automatik-Getriebe, dazu allen erdenklichen Schnickschnack wie beheizbare Außenspiegel und Alufelgen von BBS, und wenn man das Gaspedal bis zum Anschlag durchdrückte – so wie heute –, brüllte er nach vorne wie ein Bulle aus Tölz.
Als Billy mit einem gekonnten Manöver in die Hofeinfahrt bog, standen auf dem Bordcomputer knappe 13 Minuten Fahrzeit zu Buche. Brutto. Das Heck schlenzte um die Kurve, die Reifen wirbelten eine feine Staubwolke in den frühen Sommerabend, und Billy hatte feuchte Achselhöhlen, als er seinen Bayern vor dem Haus zum Stehen brachte. Gerade mal zwei Stunden blieben ihm, bis Annabelle erscheinen würde, und bis dahin galt es Dinge zu erledigen. Er brauchte dringend eine ausgiebige Dusche und ein frisch gebügeltes Hemd, das Fleisch für den Grill wollte Marinade, die Forellen mußte er erst noch fangen, und in den Beeten vor dem Haus wartete der Salat auf die Ernte. Dazu mußte er den Tisch auf der Terrasse decken, den Champagner auf Betriebstemperatur runterkühlen, den Grill anfeuern, die richtige Musikauswählen, Kerzen aufstellen und die beiden Esel, mit denen er zusammen wohnte, wollten schließlich auch noch ihre tägliche Portion Futter haben. Von der notwendigen Ansprache mal ganz zu schweigen. Da waren sie verwöhnt.
Billy hatte es fein erwischt. Er war Herr in einem alten Hexenhäuschen aus Holz, das auf einem
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