Das weiße Mädchen
verrückt! Keine Frau im Dorf war damals schwanger.«
»Doch.« Gätners Stimme klang bedrückt. »Karin Zirner. Erinnerst du dich? Sie starb nach einer Fehlgeburt.«
»Das war doch Monate später!«
»Ja, schon …«
»Hat Rudolf Zirner jemals eine Andeutung in dieser Richtung gemacht?«
»Nein – aber es wäre doch möglich! Und wenn uns jetzt diese Journalistin auf die Schliche kommt, die in seinem Haus wohnt und noch dazu mit seinem Neffen liiert ist …«
»Idiot!« Heimberger begann auf und ab zu gehen. »Und deswegen steigst du in ihre Wohnung ein? Jetzt weiß diese Frau doch erst recht, dass du etwas zu verbergen hast!«
»Womöglich glaubt sie, ich hätte Christine Herforth umgebracht …«
Heimberger hielt erneut inne. Seine Stimme klang abschätzend. »Und? – Hast du?«
»Natürlich nicht!«, fuhr Gätner auf. »Was denkst du denn von mir?«
»Du bist ein Mensch, der sich schlecht beherrschen kann«, versetzte Heimberger kühl. »Bosheit traue ich dir nicht zu – wohl aber Dummheit. Es würde mich nicht überraschen, wenn du ausgerastet wärst, nachdem das kleine Biest dich wieder einmal provoziert hatte.«
»Gejuckt hat es mich oft genug, das kannst du mir glauben!«, knurrte Gätner. »Die Kleine hat jedes Maldemonstrativdie Nase gerümpft, wenn ich ihr begegnet bin. Einmal stand sie neben mir an der Bushaltestelle, drehte sich um und sagte:
Sie riechen wie eine Schnapsleiche, wissen Sie das? Vielleicht sollten Sie weniger trinken.
Ich hab ihr eine geknallt. Ganz spontan, mit der flachen Hand. Und was, glaubst du, hat das kleine Luder getan? Sie hat die Ohrfeige weggesteckt, ohne eine Miene zu verziehen, hat ein arrogantes Lächeln aufgesetzt und gefragt:
Machen Sie das mit Ihrer Frau auch? Kein Wunder, dass sie Sie nicht mehr ranlässt.
Ich hätte ihr manches Mal gerne den Hintern versohlt – aber mit ihrem Verschwinden habe ich nichts zu schaffen.«
Wieder schwiegen beide.
»Na schön«, sagte Heimberger schließlich. »Wahr scheinlich hätte fast jeder im Dorf Grund gehabt, den Herforths eins auszuwischen.«
»Weißt du, was ich glaube?« Gätners Stimme klang bedrückt. »Ich glaube, Frank könnte es gewesen sein. Ihm ging es doch am schlechtesten von uns allen, denn seine Frau hat ihn verlassen, nachdem sie ein- oder zweimal mit Martin Herforth im Bett war. Unsere Frauen sind ja wenigstens geblieben …«
Heimberger lachte trocken auf. »Wenn Mara versucht hätte, mich zu verlassen, hätte ich ihr ordentlich den Marsch geblasen! Ich hätte ihr das Sorgerecht für die Kinder entziehen lassen und so lange um den Unterhalt prozessiert, bis sie am Verhungern gewesen wäre – schade eigentlich, ihrer Figur hätte das womöglich gutgetan.«
»Jedenfalls ist es kein Zufall, dass Frank zwei Monate nach Christines Verschwinden weggezogen ist!«, sagte Gätner stur. »Vielleicht hat er das Mädchen umgebracht, um sich an Martin Herforth zu rächen.«
Heimberger blieb einen Moment stumm, als erwöge er die Vermutung.
»Scheint mir nicht sehr logisch«, sagte er schließlich. »Wäre es nicht einfacher gewesen, diesen Nichtsnutz von Kunstmaler in einem seiner Farbeimer zu ertränken?«
»Vielleicht wollte Frank es ihm auf andere Weise heimzahlen. Vielleicht wollte er, dass der Kerl auch mal spürt, wie es sich anfühlt, einen geliebten Menschen zu verlieren.«
»Was für eine Gefühlsduselei!«, meinte Heimberger abschätzig. »Zugegeben, zu Frank Terhart hätte es gepasst. Er war immer schon ein Weichei.«
»Vielleicht hat er sie irgendwo im Wald vergraben«, sagte Gätner unbehaglich. »Wahrscheinlich in der Nähe der Stelle, wo ihr Geist erscheint.«
»Jetzt mach aber mal ’nen Punkt!«, herrschte Heimberger ihn an. »Es gibt keinen Geist, wie oft soll ich dir das noch einbläuen?«
»Ich habe sie gesehen«, erwiderte Gätner leise. »Ich schwöre es dir!«
»Du warst besoffen, als du damals den Unfall hattest! Weiß der Henker, was du gesehen hast, ein Geist war es jedenfalls nicht.«
»Es gibt genug Leute im Dorf, die ihn auch gesehen haben! Willst du behaupten, dass die alle spinnen?«
»Ich jedenfalls habe nie irgendetwas gesehen.«
»Du warst auch nie abends um neun an der Straße, weil deine Kanzlei schon um sechs zumacht und du immer den Weg über Ranzau nimmst! Sie erscheint nur zwischen neun und halb zehn, und auch nur an bestimmten Tagen.«
»Das hat dir wahrscheinlich die alte Fledermaus mit dem Kunstgewerbeladen eingeredet, was? Lass mich bloß mit
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