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Das weiße Mädchen

Das weiße Mädchen

Titel: Das weiße Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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dass sieihre Nachforschungen abbrach und aus Verchow verschwand – welchen Sinn machte es dann, ihr die Reifen zu durchstechen und sie auf diese Weise an der Abreise zu hindern?
    »Ähm   …« Kai schien nach Worten zu suchen. »Lea   … Wir sind hier gerade in diesem Schaugarten, Rudi und ich   …«
    »Du kannst nicht sprechen?«, erriet Lea.
    »Genau. Hör zu: Bleib einfach im Haus und warte, bis wir zurück sind. Hast du einen Reservereifen?«
    »Ja, aber ich habe noch nie einen Reifen gewechselt.«
    »Ich auch nicht«, gab Kai zu. »Aber ich kann es versuchen. Wenn alle Stricke reißen, bestellen wir morgen früh einen KF Z-Notdienst . Dann bleibst du eben noch eine Nacht. Warte auf mich, ja?«
    »In Ordnung.«
    Lea hatte kaum ausgeklickt, als das Handy von sich aus summte. Diesmal war es Jörg Hausmann aus der Redaktion.
Gedankenübertragung,
dachte Lea.
Als ob er wüsste, dass etwas passiert ist.
    »Na?«, fragte er. »Wie geht es dir? Ehrlich gesagt bin ich immer noch etwas in Sorge. Hast du dich entschieden, was deine Abreise angeht?«
    »Eigentlich wollte ich heute losfahren, aber es gibt ein Problem«, sagte Lea und berichtete zum zweiten Mal von dem zerstochenen Reifen.
    »Das reicht!«, sagte Jörg mit ungewöhnlich entschlossener Stimme. »Die Sache ist ernst. Du musst sofort aus diesem Dorf verschwinden.«
    Lea seufzte. »Wenn ich nur wüsste, wie   …«
    »Pass auf: Ich hole dich ab! Sobald ich hier fertig bin, setze ich mich ins Auto und komme direkt nach Verchow.«
    »Jörg, das ist nicht nötig!«
    »Offenbar
ist
es nötig. Du hast dich in größere Gefahr gebracht, als ich ahnte. Ich bin gegen acht, halb neun bei dir. Deinen Wagen kannst du später nachholen, falls wir ihn nicht wieder flottkriegen. Wie ist die Adresse deines Vermieters?«
    »Alter Dorfweg 17.«
    »Mit dem Navigator werde ich es schon finden«, meinte Jörg. »Am besten bleibst du bis dahin im Haus. Warte auf mich!«
    Lea versprach es – zum zweiten Mal. Erst nachdem sie das Gespräch beendet hatte, fragte sie sich, ob es vielleicht unvorteilhaft war, wenn Kai und Jörg einander begegneten. Offenkundig war Jörg in einem Maße um sie besorgt, das über freundschaftliche Gefühle unter Kollegen hinausging. War es taktlos, wenn sie sich vor seinen Augen von ihrem Liebhaber verabschiedete?
    Hast du sonst keine Sorgen?,
mahnte ihre innere Stimme sie zur Vernunft.
Spar dir diese Probleme für später auf. Irgendjemand bedroht deinen Sohn, war in deiner Wohnung und hat dir die Reifen zerstochen!
    Aber wer nur?,
dachte Lea.
Wer?
Sie ließ sich auf das Sofa sinken, stellte die Reisetasche ab und öffnete ihre Handtasche, um das Handy hineinzustecken. Dabei fiel ihr Blick auf Christines Tagebuch, das sie dort verstaut hatte. Einem Impuls folgend nahm sie es heraus und durchblätterte es bis zu der Stelle, wo das schwarze Haar eingeschlagen war, das der Einbrecher zurückgelassen hatte.
    Das ist ein Pferdehaar,
hatte Kai gesagt.
Eindeutig das Schweifhaar eines Rappen   …
     
    Lea schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn.
    »Ich bin
blöd!
«, sagte sie laut. »Ich bin so blöd!«
    Der naheliegendste Gedanke war ihr bisher nicht gekommen: dass das Haar vielleicht gar nicht von einerPerücke stammte, sondern tatsächlich von einem Pferd. In Verchow aber gab es nur einen einzigen Menschen, der Pferde hielt – und bei der Pflege der Tiere konnte es nur zu leicht geschehen, dass so ein Haar an irgendeinem Kleidungsstück haften blieb.
    1
x REITEN
10
EURO,
erinnerte sie sich an das Schild am Zaun.
KINDER
5
EURO.
    Sie dachte keinen Augenblick daran, die Polizei zu rufen. Von Beamten befragt, würde Bauer Gätner vermutlich die Aussage verweigern, und sie würde nie erfahren, warum er in ihre Wohnung eingedrungen war. Binnen weniger Augenblicke kehrte Leas Kampfgeist zurück, und sie beschloss, ihn persönlich zur Rede zu stellen. Wenn es ihr gelang, ihn zu überrumpeln, bestand vielleicht eine Chance, noch vor ihrer Abreise ein paar Geheimnisse aufzudecken. Angst empfand sie nicht mehr – Gätner war ein unfreundlicher Zeitgenosse, aber ganz gewiss leichter einzuschätzen als der unheimliche Bewohner des Herforth-Hauses. Womöglich würde er zusammenbrechen und auspacken, wenn Lea ihn mit ihrem Wissen konfrontierte.
     
    Kurze Zeit später verließ Lea die Wohnung und machte sich auf den Weg zum Hof des Bauern. Die Straßen waren wie ausgestorben. In den Ästen der alten Eiche am Dorfplatz zwitscherte eine Amsel. Vermutlich

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