Das weiße Mädchen
könnten mir noch mal Ihren Text über die Bürgerinitiative gegen den Brückenbau in Ochtmissen vorlegen. Wir haben auf Seite zehn noch eine halbe Spalte zu füllen.«
»Mach ich«, versprach Lea, ließ sich auf ihren Platz sinken und schaltete den Computer ein.
»Kommen Sie erst einmal an!«, riet Ehrlig gutmütig und wandte sich zum Gehen. »Wir können alles nach der Mittagspause besprechen.«
Der Chefredakteur verschwand in seinem Büro, während Jörg Hausmann sich Lea zuwandte.
»Kaffee?«, fragte er.
»Gern.« Lea schenkte ihm ein dankbares Lächeln. Jörg war ein überaus netter Kollege, hilfsbereit, fast fürsorglich. In der kurzen Zeit, die er in der Redaktion arbeitete, war er bereits dazu übergegangen, für sie beide den Kaffee aufzubrühen.
Auch so ein Gentleman
, dachte Lea schmunzelnd und musste an David denken.
Das ist heute schon das zweite Mal, dass ein Mann mich bedient.
Während Jörg in der Teeküche verschwand, rief Lea ihre E-Mails ab – und stöhnte leise, als ihr rund dreißig neue Nachrichten gemeldet wurden. Fast die Hälfte hatte der Computer unter Spamverdacht gestellt und entsprechend markiert. Das war nicht ungewöhnlich, denn Lea bekam nahezu täglich Mails von unbekannten Absendern und zweifelhafter Relevanz. Einen Teil, der unschwer als Werbung zu erkennen war, verschob sie mit geübtem Klick in den Papierkorb. Den Rest überflog sie zumindest oberflächlich, denn es war nie auszuschließen, dass sich etwas Interessantes darunter befand. Als Erstes beschwerte sich eine Frau wortreich über den katastrophalen Verlauf einer Urlaubsreise, gebucht in einem bekannten örtlichen Reisebüro: »Das ist Betrug! Sie sollten darüber berichten!« Der zweite Mailschreiber hatte ein Tattoo-Studio eröffnet und wollte die Zeitung für einen werbewirksamen Bericht über seine Geschäftsidee gewinnen. Der dritte beteuerte, sein Terrier könne selbstständig die Tür des Kühlschranks öffnen und er sei gern bereit, zum Beweis ein Video zuschicken. Lea las mit mäßigem Interesse, erkannte jedoch schnell, dass keine der Zuschriften Stoff für einen Artikel liefern würde. Eigentlich schade um Fido, den klugen Foxterrier, dachte sie amüsiert. Es war nicht sehr wahrscheinlich, dass die Öffentlichkeit sich für ihn interessierte, es sei denn, er wäre vielleicht auch noch in der Lage, eine Bierdose zu öffnen.
»Fox Fido plündert Herrchens Hausbar«
, titelte Lea in Gedanken.
Fettdruck Zeile zwei bis fünf: »Er apportiert nicht nur die Zeitung, sondern holt sich auch selbst die Belohnung.«
Abwesend überflog sie die restlichen Mails, öffnete die allerletzte – und las ganze drei Zeilen.
Ein Mädchen wurde ermordet.
Ihr Name beginnt mit C.
www.ghost-trusters.de/forum/viewtopic 7 – 543 Gesicht_am_Straßenrand
Keine Anrede, keine Floskeln, keine freundlichen Grüße. Als Absender tauchte lediglich eine aus sinnlosen Zeichen zusammengesetzte Adresse bei einem kostenlosen Provider auf.
Normalerweise hätte Lea automatisch jede Mail entfernt, deren Absender sich nicht zu erkennen gab. Ihr Finger schwebte bereits über der Löschtaste, während sie die Nachricht erneut las, Wort für Wort.
Ein Mädchen wurde ermordet …
Ein unbestimmtes Gefühl bewog Lea, noch einmal innezuhalten.
Ihr Name beginnt mit C.
Die knappe Formulierung erregte ihr Interesse. Der Absender hielt sich weder mit einer Vorstellung seiner Person auf noch mit Argumenten, warum gerade seine Story einen Zeitungsbericht verdiente. Eigentlich klangdie Nachricht überhaupt nicht wie einer der typischen Artikelvorschläge – eher wie ein Hilferuf.
Lea ergriff die Maus und bewegte den Cursor vorsichtig auf den Link, der sogleich aufleuchtete. Soweit sie erkennen konnte, wollte der Browser sie in irgendein Forum schicken, das offenbar weitere Informationen zur Sache enthielt. Würde man sie womöglich auf irgendeine zweifelhafte Website locken, die ihren Rechner mit Spyware infizierte?
Lea wusste nicht, warum sie den Link abrief. Irgendetwas an der Nachricht hatte sie gepackt: Es war ein Rätsel, eine Andeutung, etwas zum Nachforschen. Lea liebte Rätsel. Ebendiese Leidenschaft hatte sie zu ihrem Job gebracht.
Der Browser arbeitete einen Moment, bis er den Link erfasst und die fragliche Seite komplett geladen hatte – einschließlich eines Pop-ups, das Lea rasch wegklickte. Ein Forum lag vor ihr, äußerlich genauso aufgebaut wie hunderte anderer Internetforen. Am oberen Rand prangte das Logo
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