Das weisse Meer
wirklich glauben, dass ich es war, die da lag, eng an diesen Körper geschmiegt, der mir fremder erschien als je zuvor, doch noch viel fremder schien mir mein eigener weißer Leib. Mit dem Handrücken strich ich über seinen Rücken, auf dem sich einige dunkle Punkte ausbreiteten, wie ein Schwarm Fliegen, die ich mit den Fingern zerdrücken könnte. Ich dachte daran, wie Robert und ich auf der kleinen Mauer am Straßenrand gesessen hatten, neben diesem Zigarettenautomaten, und Robert sagte, es geht nicht mehr, und ich nichts sagte und nicht weinte, sondern Geld in den Zigarettenautomaten warf. Robert sagte: Der ist kaputt, das weißt du doch, und ich kickte zweimal mit dem Fuß gegen den Automaten, worauf nichts geschah.
Wenn man die Augenlider leicht schließt, scheint alles zu verschwimmen im Weiß. Ich sitze im Speisewagen, der Schnee hinter den Fenstern, das Licht hinter den Lidern. Ich würde nichts sagen. Ich würde vielleicht sagen: Sarah, kannst du dich erinnern, wie wir damals im Park vom Winter sprachen. Als ich die Geschichte von der Frau erzählte, die einmal Schneebälle an die Fenster der Bar geworfen hatte. Und du hast mir dieses rote Band um das Handgelenk gebunden. Was hast du dir damals eigentlich gewünscht?, würde Sarah fragen. Willst du das wirklich wissen?, würde ich fragen und nur leicht erröten. Sarah würde mich anschauen und sagen: Nein. Wünsche sollte man nie verraten.
Morgen ist schon wieder heute
Oh Morden, Schreien, Wut steige
wie eines Mondes Trug; horchet,
dem Regen rot. Oh, nie wusste ich
gut, ohne wessen Tod. Reiche mir
dein Ohr, Wegemeister, such Not,
wo deines ruhmreichen Gottes
Schein. Ohne Mut der Worte Sieg,
euer Gott schwinde, oh, ins Meer.
So sehe Todgeruch, mein Winter,
weih es um Nordschein; Goetter
wisset, euer Donner mit hochge-
dichteten Wogen, so ruhe es, mir
ist doch euer Tosen wenig mehr:
Greise hinter Musen, wo Dochte
schienen, wo Geisterhort mued
im Chor den Ton giesst. Weh, euer
Odem ist Suehne; Richter wogen
Suechte, Weisheit, Drogen, Norm,
so Dichter Sterne wiegen. Oh, um
Tode ruh ich, wie Omen Gesterns.
So wieg mich, rette uns, oh deren
Wortes Segen ich hoert, du mein
Echo. Sieh, wie du sternt Morgen.
Nachdem meine Katze gestorben war, zog auch Jonas aus. Höchstwahrscheinlich bestand jedoch kein Zusammenhang zwischen dem Tod der Katze und Jonas’ Auszug. Jonas war mein Bruder. Die Katze war ein Kater gewesen, groß und flauschig, getigert, mit drei weißen Pfoten. Der Kater wartete immer auf der Fußmatte vor der Wohnungstür der jugoslawischen Familie, die unter mir wohnte, bis jemand nach Hause kam. Vor meiner Tür wartete er nie, auch nicht, nachdem ich mir auch einen Türvorleger gekauft hatte. Der Kater hieß Bumbar, seit die Nachbarsfamilie ihn so getauft hatte. Ich hatte nichts dagegen einzuwenden. Bumbar hieß Hummel auf Serbokroatisch und klang wie Bomber, was auch den Kindern in der Siedlung großen Eindruck machte.
Ich war nicht zu Hause an dem Abend, an dem die Katze überfahren wurde. Vor dem Umbau des Restaurants, in dem ich zwei Jahre gearbeitet hatte, fand eine Abschlussparty statt. Ich war froh, dass ich endlich einen Grund hatte, mir eine neue Arbeit zu suchen. Anna und die anderen Kellnerinnen tanzten auf dem Tresen, sogar der böse Koch tanzte und der kleine Koch auch, nur der schöne Koch zierte sich. Ich weigerte mich erst, doch Anna drückte mir einen Drink in die Hand und zog mich auf den Tresen. Ich fragte mich nur kurz, warum Jonas nicht da war. Dann behauptete Anna, einer hätte mit einer Handykamera nach oben fotografiert, unter die Röcke der Frauen, die auf dem Tresen tanzten. Sie zeigte auf ihn, wobei sie nicht ganz sicher war, ob er es war oder doch der, der neben ihm stand. Der Mann war blond und eher bullig, sein Gesicht erinnerte mich an jemanden. Ich kenne den, sagte Anna, das ist so ein Künstler. Anna kannte so ziemlich alle in der Stadt. Ich wette, der findet das irgendwie verrückt und verkauft es dann als Kunst. Ich dachte an die Strümpfe, an die nackte Haut, da wo die Unterhosen aufhören, ich stellte mir großformatige Silberprints in einer Galerie vor. Ich selber trug Jeans. Bist du sicher, dass der es war?, fragte ich Anna. Warum haust du ihm nicht eins in die Fresse, sagte ich dann. Es war nicht so, dass ich dies nicht ernst meinte, aber ich hätte auch nicht gedacht, dass Anna, die sehr zierlich und zurückhaltend war, von dem sich auf Brusthöhe befindlichen Tresen dem Künstler
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