Das Weltgeheimnis (German Edition)
er ihn am 1. Oktober 1610 über Giuliano de’ Medici wissen. Kepler sei in Padua bestens bekannt, man werde bestimmt auf ihn zurückkommen, was ihm, Galilei, wegen der Annehmlichkeit, ihn ganz in der Nähe zu haben, eine unendliche Freude wäre.
Was für eine Chance! Kepler hat bis dahin nie an einer Universität gelehrt. Seine Freunde Matthias Wackher von Wackenfels und Johannes Jessenius oder der Mathematiker des Kurfürsten von Köln, Eitel Zugmesser, haben alle in Padua studiert, er selbst dagegen ist nie zu einer Bildungsreise nach Italien aufgebrochen. Eine Berufung an die ehrwürdige Hochschule, von deren anregendem Umfeld er schon viel gehört hat, würde Keplers Leben noch einmal eine ganz neue Wendung geben. Eine ganze Weile träumt er davon, »das Abenteuer in der Fremde zu suchen«, auch von persönlichen Gesprächen mit Galilei und von einer kopernikanischen Achse Padua-Florenz.
In einem Brief vom 9. August 1610 bittet Kepler Galilei um die Angabe von Zeugen für die Beobachtung der Jupitermonde. [6]
Doch es wird nichts daraus, die Stelle bleibt jahrelang vakant und wird schließlich anderweitig besetzt. Als Kepler Jahre später, nach dem Tod Giovanni Antonio Maginis, ein Angebot der Universität Bologna erhält, lehnt er ab. »Von Jugend an bis in mein gegenwärtiges Alter habe ich als Deutscher unter Deutschen eine Freiheit im Gebaren und Reden genossen, deren Gebrauch mir wohl, wenn ich nach Bologna ginge, leicht, wenn nicht Gefahr, so doch Schmähung zuziehen, Verdächtigungen hervorrufen und mich den Angebereien von Schnüfflern aussetzen könnte«, schreibt er nach Italien.
Bologna ist dem Protestanten ein zu heißes Pflaster. Anders als die Republik Venedig, die internationale Allianzen gegen Rom knüpft, gehört die katholische Universität Bologna zum direkten Einflussbereich der päpstlichen Inquisition. Und die ächtet 1616 die Schrift des Kopernikus.
Kepler wird sein Leben lang nicht nach Italien reisen, darf sich jedoch eine Weile über Galileis Angebot freuen, sich für ihn in Padua verwenden zu wollen. Inwieweit der sich tatsächlich für Keplers Unterstützung erkenntlich zeigt, bleibt ungewiss, dessen Nähe jedenfalls sucht er nicht.
Ein Gedanke, zwei Theorien
In seiner neuen Stellung als Philosoph und Mathematiker der Medici schreibt Galilei nicht mehr persönlich an Kepler. Er wählt den sichersten und schnellsten Postweg, der zudem der höfischen Etikette entspricht, und lässt die Korrespondenz über den toskanischen Botschafter in Prag laufen, verfasst seine Briefe nicht mehr in der lateinischen Gelehrtensprache, sondern auf Italienisch.
Die Begeisterung seines Kollegen erwidert Galilei nicht. Zwar hält er ihn noch mindestens bis zum Sommer 1612 über aktuelle Beobachtungen mit dem Fernrohr auf dem Laufenden und ist jedes Mal gespannt auf dessen Urteil. Doch während Kepler die Forschung zusammen mit Galilei aus den »gewohnten Grenzpfählen der Aristotelischen Enge« befreien möchte, prescht der Italiener lieber im Alleingang vor.
Besonders überrascht sein Verhalten gegenüber Keplers wissenschaftlichem Werk. Galilei ignoriert dessen großartige Leistungen völlig, und das nicht nur in der hektischen Phase eigener Entdeckungen. Selbst als er 1632, also zwanzig Jahre später, seine lang angekündigte Schrift über den Aufbau der Kosmos herausgibt, den Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme , kehrt er Keplers fundamentale Erkenntnisse unter den Teppich.
Wieso nimmt Galilei die gewissenhaft überprüften Planetengesetze nicht auch als Argument für sich in Anspruch? Diese bis heute offene Frage der Wissenschaftsgeschichte stellt sich umso drängender, weil beide für die kopernikanische Sache kämpfen.
Galilei betont die Bedeutung von Beobachtung und Empirie. In seinem Brief an Kepler macht er sich lustig über diejenigen, die sich weigern, durch das von ihm gebaute Fernrohr hindurchzuschauen, und die Augen vor dem »Licht der Wahrheit« verschließen. Von sich selbst dagegen behauptet er, im »Buch der Natur« zu lesen, und knüpft damit an grundlegende Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts an.
Hätte der Florentiner Amerigo Vespucci feststellen können, dass jenseits des Atlantiks eine »Neue Welt« liegt, wenn er nicht selbst aufgebrochen wäre, um ihre Küste zu vermessen? Hätte der Arzt Andreas Vesalius, der in Padua promovierte, die Anatomie des menschlichen Körpers in sieben Büchern neu beschreiben können, ohne Leichen zu sezieren und die
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