Das Weltgeheimnis (German Edition)
Wissenschaften gingen anders vor und hätten andere Ziele als die Künste. Das Denken in allzu strengen Kompositionsregeln steht seiner Meinung nach dem eigentlichen Zweck der Musik im Weg: beim Hörer Empfindungen zu wecken.
In einer für seine Zeit außergewöhnlichen Weise verbindet Vincenzo Galilei Theorie und Praxis miteinander. In Florenz fallen seine Gedanken auf fruchtbaren Boden, die Pioniere der Opernmusik teilen seine Vorstellungen. So erläutert auch der Komponist Jacopo Peri die erste Opernaufführung im Palazzo Pitti im Oktober 1600 mit den Worten, er habe bestimmte Kompositionsregeln missachtet, um Empfindungen auszudrücken.
Medizinstudent wider Willen
Dem jungen Galileo dürfte es imponiert haben, wie hartnäckig sein Vater seine Erkenntnisse verteidigt. Vermutlich ist er beeindruckt davon, mit wie viel rechnerischem Scharfsinn Vincenzo seinen einstigen Lehrer Zarlino attackiert und damit gegen jede Art von Autoritätsgläubigkeit polemisiert. Toren seien diejenigen, die anderen folgten, ohne dafür selbst hinreichende Gründe anzuführen. Er wolle seine Antworten frei geben, ohne jede Schmeichelei. Auch Galileo wird das Wissen anderer an den eigenen Erfahrungen messen und als Forscher diejenigen beschimpfen, die ihre Augen vor der Welt verschließen und blind übernehmen, was in Büchern geschrieben steht.
Die typischen Verfechter dieser sterilen Gelehrsamkeit lernt Galileo rascher kennen, als ihm lieb ist. Auf Geheiß des Vaters schreibt er sich im September 1580 zum Medizinstudium ein und kehrt wieder nach Pisa zurück. An der Universität muss er sich damit abfinden, dass die Lehren des Aristoteles den Unterrichtsstoff fast völlig beherrschen. Über einen seiner Pisaner Professoren, Girolamo Borro, gibt es eine charakteristische Passage in den Reisebeschreibungen des französischen Essayisten Michel de Montaigne, die genau in Galileis Studienzeit fällt.
Im Sommer 1581 hält sich Montaigne in Pisa auf, besichtigt den Dom, den »Schiefen Turm« und den Camposanto, der ihm »über alle Maßen« gefällt, während die Stadt als Ganze in seinen Augen ziemlich reizlos ist. Pisa kommt ihm beinahe wie ausgestorben vor. Und genauso blutleer erscheint ihm Galileos Professor, der Arzt Borro, den er als hundertfünfzigprozentigen Aristoteliker schildert: »Sein vornehmster Lehrsatz hieß: Der Probierstein aller gegründeten Meinungen, aller Wahrheiten sei die Übereinstimmung mit den Lehren des Aristoteles. Außer dem gäbe es weiter nichts als Chimären und Possen; denn Aristoteles habe alles ergründet und alles gesagt.«
Einem derartigen Verständnis von Wissenschaft kann Galileo nichts abgewinnen. Schon als Student habe er sich durch seine vielen Einwände schnell »den Titel eines Zänkers und Widerspruchsgeistes« eingehandelt, so sein letzter Assistent und Biograf, Vincenzo Viviani. Ob der einstige Klosterschüler tatsächlich von Beginn an so aufmüpfig ist, darf man bezweifeln. Aus seinen Handschriften lässt sich dergleichen nicht herauslesen. Es sind gewissenhafte Aufzeichnungen des Unterrichtsstoffs, Auszüge aus den seinerzeit gängigen Aristoteles-Kommentaren.
Diese Art des Lernens hat Galileo jedoch bald satt. Die Werke griechischer Mediziner langweilen ihn. Weitaus mehr interessiert ihn die Kunst, vor allem die Malerei und die Musik. Allerdings gibt der Vater die Hoffnung nicht so schnell auf, seinen Sohn irgendwann in der Position zu sehen, die das bis dahin berühmteste Mitglied der Familie, der Arzt Galileo Galilei, vor wenigen Generationen bekleidete. Vincenzo drängt den Achtzehnjährigen, das Medizinstudium fortzuführen und sich endlich auch mit der Mathematik zu befassen. Und er macht seinem Sohn die Sache mit dem Hinweis darauf schmackhaft, dass die Mathematik eine der wichtigsten Grundlagen aller Künste sei.
Irgendwann im dritten oder vierten Studienjahr besucht Galilei erstmals eine Mathematik-Vorlesung. Er hat das große Glück, einen Freund seines Vaters zu hören, Ostilio Ricci, der seit wenigen Jahren Hofmathematiker der Medici ist. Dessen Vorlesungen sind längst nicht so trocken wie Galileos bisheriger Unterricht, sondern gespickt mit Beispielen aus der Praxis: perspektivischen Darstellungen in der Malerei, Problemen der Landvermessung, der Militärarchitektur und des Ingenieurswesens.
Zwar ist der Unterricht den Bediensteten des Hofes vorbehalten, aber Ricci erkennt die außergewöhnliche Begabung seines Gasthörers. Galileo wird einer seiner eifrigsten Schüler.
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