Das Weltgeheimnis (German Edition)
Erregung schickt er einen Abriss seiner Idee und seine in einer Tabelle zusammengefassten Berechnungen an Mästlin. »Ihr seht, wie nahe ich der Wahrheit komme. Und da zweifelt Ihr noch, dass ich, so oft so etwas eintritt, reichlich Tränen vergieße?«
Zugleich bittet er den Experten um Hilfe. »Da und dort werdet Ihr mich in Verlegenheit finden wegen einer mangelhaften Kenntnis der kopernikanischen Astronomie«, räumt er ein. »Ihr dürft feilen, ändern, streichen, kritisieren, mahnen. Wie Ihr mir auch schreiben werdet, jeder Brief wird mir höchst willkommen sein.«
Die Antwort fällt positiv aus. Der Mathematikprofessor, selbst ein Anhänger der kopernikanischen Theorie, findet Keplers Gedanken originell und diskussionswürdig. Er stellt sich hinter seinen ehemaligen Studenten, korrigiert und kritisiert Keplers Arbeit. Ihre Kommunikation wird dadurch erleichtert, dass Kepler Ende Januar 1596 zu einer Reise nach Württemberg aufbricht, weil beide Großväter schwer erkrankt sind. Außerdem denkt er an eine Veröffentlichung seiner Ergebnisse, wofür er das Einverständnis des württembergischen Herzogs braucht.
Ohne »Seydenrupff« zur Hochzeit
Kepler verlässt Graz zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Gerade erst hat er den Entschluss gefasst zu heiraten. Zwei seiner Amtskollegen haben in seinem Namen um die Hand von Barbara Müller angehalten. Sie ist mit 23 Jahren schon zweifache Witwe und hat eine Tochter aus erster Ehe mit einem sehr viel älteren Mann, mit dem sie als Sechzehnjährige verheiratet wurde. Ihren zweiten Gatten, der die längste Zeit der kurzen Ehe im Krankenbett verbrachte, hat sie vor nicht einmal drei Monaten verloren. Als älteste Tochter des reichen Mühlenbesitzers Jobst Müller gilt sie dennoch als gute Partie. Doch kann sie hinter Keplers Brautwerbung irgendwelche ernsthaften Absichten erkennen? Seine Abwesenheit zieht sich Monat um Monat in die Länge.
In Württemberg fügt der Bräutigam neue Beobachtungsdaten in sein kosmologisches Modell ein und feilt an den Berechnungen. Der Herzog lässt ihn warten und verlangt ein Gutachten, die Verhandlungen mit dem Drucker sind zäh. Da sich Kepler auch noch das Plazet der Universität Tübingen wünscht, benötigt er ein zweites Gutachten.
Am 17. Mai erhält er einen Brief vom ehemaligen Rektor der Stiftsschule in Graz. Es stünde gut um seine Heiratsangelegenheit. Ein paar Wochen später scheint die Sache aber schon nicht mehr so klar. Man rät ihm, möglichst schnell und nicht ohne Geschenke nach Graz zurückzukehren, »mit gar gutem Seydenrupff, oder auffs wenigst der besten Doppeltaffet, zu einem gantzen kleid für euch vnd euer sponsam«.
Im Juni spricht sich Mästlin auch gegenüber der Universität für eine Veröffentlichung der Kepler’schen Arbeit aus. »Denn wer hätte je daran gedacht, geschweige denn den Versuch gewagt, die Anzahl der Bahnkreise, ihre Reihenfolge, Größe, Bewegung … a priori darzulegen und zu begründen und solchergestalt gewissermaßen aus den geheimen Rathschlüssen Gottes des Schöpfers hervorzuholen? Dieses Problem aber hat Kepler in Angriff genommen und in glücklicher Weise gelöst.«
Dennoch hat er Einwände: Das Manuskript sei viel zu umständlich geschrieben. Es setze beim Leser zu viel voraus. Er werde Kepler dazu auffordern, seine vortreffliche Entdeckung »populärer darzustellen« – eine Kritik, mit der der Astronom auch in späteren Jahren immer wieder konfrontiert wird.
Erst im Spätsommer kehrt Kepler endlich zurück nach Graz, hat aber weder »Seydenrupff« im Gepäck noch das Weltgeheimnis druckreif. Ein halbes Jahr später, im Februar 1597 – er wartet immer noch auf das Erscheinen seines Buchs –, weiht er Mästlin in den Hergang seiner Heiratsaffäre ein:
Eine um 1597 entstandene Miniatur von Keplers erster Frau Barbara, geborene Müller. [10]
»Die Komödie verhielt sich so: Ich erwählte im Jahr ’96 eine Gattin und habe auch ein volles halbes Jahr nichts anderes gedacht, da mich die Briefe von recht ernsten Männern in meinem Vertrauen bestärkten. Froh kehrte ich nach Steiermark zurück. Als mir nach meiner Ankunft niemand gratulierte, wurde mir insgeheim mitgeteilt, ich hätte meine Braut verloren. Nachdem sich die Hoffnung auf die Ehe in einem halben Jahr tief eingewurzelt hatte, brauchte es ein weiteres halbes Jahr, bis sie wieder herausgerissen war und bis ich mich ganz davon überzeugte, dass es nichts sei.«
Als sich Kepler bereits damit abgefunden hatte, wendete
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