Das Weltgeheimnis (German Edition)
Kampfschiff entworfen: die Galeasse, eine schwimmende Festung, bestückt mit bis zu drei Dutzend Kanonen, von denen die größte eine Reichweite von etwa drei Kilometern hatte. Die an vorderster Front postierten Galeassen trieben gleich zu Beginn der Schlacht einen Keil in die türkische Flotte. Das schwere Kampfschiff war allerdings nur deswegen manövrierfähig, weil es eine große Besatzung aufnehmen konnte: bei 26 bis 30 Rudern pro Seite allein über dreihundert Ruderer, dazu noch einmal ebenso viele Soldaten.
Galilei ist mit den langwierigen Diskussionen über die Ausstattung solcher Schiffe nicht vertraut. Wie auch? Er ist nie zuvor mit dem Schiffbau in Berührung gekommen, genauso wie er wohl kaum je etwas mit dem Bau von Festungen zu tun gehabt hat.
Im Gegensatz zum Schiffbau kann er in der Militärarchitektur jedoch von Anfang an auf das Wissen anderer zurückgreifen. Seine Manuskripte zum Festungsbau sind Kopien aus den Werken erfahrener Militäringenieure. Wie die Architekturhistorikerin Daniela Lamberini herausgefunden hat, gehen sie im Wesentlichen auf den 1575 verstorbenen Florentiner Architekten Bernardo Puccini zurück. An vielen Stellen übernimmt Galilei dessen Darstellungen bis ins kleinste Detail hinein, ergänzt nur um ein paar zeichnerische Finessen. »So kam es, dass Puccinis verkanntes Traktat im Verlauf des gesamten 17. Jahrhunderts unter dem vortrefflichen Namen Galileo Galileis an den Höfen in ganz Europa zirkulierte.«
Für den an technischen, ingenieurwissenschaftlichen Fragen orientierten Galilei liegt ein Rückgriff auf das schon Bekannte und Vertraute in der Natur der Sache. Er erfindet auch den »geometrischen und militärischen Kompass« nicht neu, sondern verbessert den alten von Guidobaldo del Monte. Dass er seine Quellen des Öfteren verschweigt, passt zu den Gepflogenheiten der Zeit und zu seinem Wunsch, sein Wissen möglichst zu privatisieren und zu vermarkten.
Auch er hat immer wieder Ärger mit Leuten, die bei ihm abkupfern. Gegen manche von ihnen geht er scharf vor, im Zusammenhang mit dem für ihn kommerziell wichtigen Kompass etwa gegen Baldassare Capra oder gegen den Mathematiker Eitel Zugmesser, der sich später bei seinem »Todfeind« Galilei dafür rächen und dessen teleskopische Beobachtungen lächerlich machen wird – zwei von vielen hässlichen Auseinandersetzungen mit anderen Gelehrten in Galileis Leben.
Eine Geheimwissenschaft wird ausgehebelt
Im Schiffbau kann Galilei auf keine vergleichbaren Quellen zugreifen. Es handelt sich um eine Art Geheimwissenschaft. Die verschiedenen Handwerkszünfte, die in Venedigs Werft zusammenarbeiten, behalten ihre Erkenntnisse für sich. Zwar schreiben Ingenieure wie Pre Theodoro de Nicolò im 16. Jahrhundert Handbücher, um große Ruder- und Segelschiffe jederzeit nachbauen und systematisch verbessern zu können, doch solche Aufzeichnungen werden nicht veröffentlicht. Sie liefern lediglich die Schablonen für eine standardisierte vorindustrielle Produktion, die sich auf wenige bewährte Schiffstypen beschränkt. Nur so gelang es den Venezianern, vor der Seeschlacht von Lepanto binnen weniger Monate hundert neue Kriegsgaleeren zu bauen und auszustatten.
Seit diesem Krieg hat die Tätigkeit im Arsenal deutlich nachgelassen. Gründe dafür sind die große Zahl der 1571 erbeuteten türkischen Schiffe, aber auch die schreckliche Pest in den Jahren 1575 bis 1577. Der Epidemie fielen etwa 60 000 der ehemals 200 000 Einwohner Venedigs zum Opfer, unter ihnen der Maler Tizian.
In die venezianische Schiffbauindustrie, die unter der Konkurrenz der Briten und Niederländer leidet, gewinnt Galilei erst nach und nach Einblick. Bei seinen ersten Besuchen im Arsenal steht er genauso staunend wie Coryate vor riesigen Holzgerippen, aus denen einmal bis zu fünfzig Meter lange Schiffe werden sollen. Er besucht die Werft von nun an oft und informiert sich vor Ort, um für künftige Anfragen, die er aufgrund seiner neuen Stelle zweifelsohne zu erwarten hat, besser gerüstet zu sein.
Ausgehend von Contarinis Brief haben die Wissenschaftshistoriker Jürgen Renn und Matteo Valleriani überzeugend dargelegt, wie wichtig Galileis Besuche im Arsenal für sein Studium der Bruchfestigkeit von Körpern und für seine Mechanik sind. In Venedigs Schiffswerft öffnen sich Schleusen, durch die ihm unschätzbares Anschauungsmaterial zufließt: das ganze von Leonardo aufgezeichnete Alphabet der Maschinen aus Hebeln, Wellen, Winden und Pumpen. Hier nimmt
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