Das Werk der Teufelin
hinterlasst Ihr doch sehr eindringlich den Eindruck, dass Ihr es ohne Bedenken könntet.«
Seine grauen Augen blitzten auf, und er setzte sich wieder neben sie.
»Die Antwort habe ich wohl verdient! ›Wer eine Grube gräbt, der fällt selbst hinein, wer eine Falle stellt, der fängt sich selbst.‹ Wie Sirach ganz richtig bemerkte.«
Pater Ivo sah sie mit einem schiefen Lächeln an, und Almut grinste zurück: »›Wie schön ist’s, wenn die grauen Häupter urteilen können und die Alten Rat wissen. Wie schön ist bei den Greisen Weisheit…‹«
»Greisen?«
»Na ja. Möglicherweise noch nicht ganz.«
»Langsam beginne ich, mich der gängigen Meinung anzuschließen, Frauen solle man das Lesen in der Bibel untersagen. Begine, ich muss Euch als hartherziger alter Philister erscheinen, aber ich habe Ewald nie… Obwohl…« Pater Ivo starrte in die Sonne, die sich jetzt strahlend über den östlichen Bergen jenseits des Rheines erhob. »Obwohl, es mag da ein Missverständnis gegeben haben. Ewald gehört eigentlich zu dem Kloster in Siegburg, er hätte dort natürlich auch das Mönchsgewand nehmen sollen. Doch ich fand viel Freude an seinem Verstand, darum habe ich ihn gefragt, ob er nicht bei uns in Groß Sankt Martin bleiben wolle. Ob er sich dadurch bedrängt gefühlt hat? Dann hätte er es doch nur sagen müssen.«
»Es ist noch etwas anderes dazugekommen, Pater Ivo. Er vertraute mir an, er hege Zweifel an seiner Berufung, und Ihr hättet diese nicht gelten lassen.«
»Zweifel? Er war von Zweifeln geplagt? Er hat nie von Zweifeln gesprochen. Oder zumindest nicht von derart schwerwiegenden.«
»Sollte da ein weiteres Missverständnis vorliegen? Wie sagt doch Jesus Sirach über das Urteilen: ›Du sollst nicht urteilen, ehe du die Sache gehört hast, und lass die Leute erst ausreden!‹ Ihr habt manchmal eine etwas barsche Art, Pater Ivo, die empfindsamere Gemüter als mich dazu bringen kann zu verstummen.«
»Empfindsamer als Euch? Ewald empfindsamer…«
»Es kommt wohl auch auf die Gemütslage an. Ich, Pater, halte mich für einigermaßen ausgeglichen und kann somit Eure –äh – gelegentlichen Donnerschläge einigermaßen ertragen. Aber in Unsicherheit und Zweifel…«
»Aber das Einzige, was annähernd einem Zweifel gleichkam, war eine ziemlich unbedeutende Angelegenheit.«
»Es gab also doch etwas. Was war es denn?«
»Er fragte mich einmal, was man als Mönch zu tun habe, wenn einen die Versuchungen des Fleisches plagen.«
»Es gibt Menschen, die das nicht gerade als unbedeutend ansehen. Was habt Ihr ihm geraten? Sich zu kasteien?«
»Selbstzucht, Begine. Und Ablenkung. Ich gab ihm eine anstrengende und interessante Arbeit des Geistes. Kasteiungen bewirken in einem solchen Fall überhaupt nichts.«
»Aha.«
Almut drängte sich dazu eine Bemerkung auf die Lippen, von der sie sicher war, sie würde sie anschließend bereuen, da ihre Zunge sich mal wieder anschickte, ein Eigenleben zu entwickeln, das sie nicht beherrschen konnte. Meist rief sie in einem solchen Fall Maria um Hilfe an, doch diesmal war es Pater Ivo, der ihr den Zaum anlegte.
»Schweigt lieber, Begine. Bedenkt: ›Der Mensch kommt durch seine eigene Zunge zu Fall!‹– so hat auch Sirach gewarnt!«
»Ich habe doch noch gar nicht den Mund aufgemacht!«
»Darum ja.«
Almut bemühte sich, das schalkhafte Blinzeln ihrer Augen zu verstecken, und räusperte sich, um ihre nüchterne Schlussfolgerung zu formulieren.
»Sagt, könnten diese –äh – Versuchungen des Fleisches Ewald deutlich gemacht haben, dass das keusche Leben nichts für ihn ist? Und er daher Euren Vorschlag, in Groß Sankt Martin die Kutte zu nehmen, als besonders bedrohlich empfand?«
»Ihr habt eine erschreckende Art, für den Angeklagten zu sprechen. Ja, Begine, das mag stimmen. Und wenn dem so ist, habe ich etwas gutzumachen. Werdet Ihr mir verraten, wo ich Ewald finde?«
»Er ist… Ei wei, jetzt werdet Ihr wirklich zornig auf mich sein, Pater Ivo.«
»Mein Donnergrollen ertragt Ihr, aber meinen Zorn fürchtet Ihr denn doch? Ihr setzt mich in Erstaunen!«
»Nun, ja.«
»Gut, ich will mich bemühen, meinen Unwillen zu zügeln. Also
wo
habt Ihr Ewald versteckt? Denn ich möchte nicht nur die Angelegenheit mit dem Gelübde klarstellen, ich muss auch wissen, was er an jenem Sonntag in der Kirche von Sankt Kunibert gesehen hat. Denn er betete vor seinen Namenspatronen, als der Domherr sich dort aufhielt und – vielleicht – durch einen Dolchstich
Weitere Kostenlose Bücher