Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
animieren, mit lodernden Fackeln auf die Straße zu gehen und die unverzügliche Befreiung aller schwarzen Menschen zu fordern.«
»Arthur Dixon?« Alma hatte unwillkürlich den vollständigen Namen ihres faden Schwagers und früheren Hauslehrers in den Mund genommen. »Lodernde Fackeln? Das sieht ihm gar nicht ähnlich.«
»Lesen Sie es selbst, Alma. Dixon ist in aller Munde. Es heißt, er könne sich glücklich schätzen, seinen Posten an der Universität noch nicht verloren zu haben. Ihre Schwester scheint sich in übereinstimmender Weise geäußert zu haben.«
Alma dachte nach. »Das ist allerdings besorgniserregend«, pflichtete sie George schließlich bei.
»Wir alle werden in ein Leben voller Ungemach hineingeboren«, wiederholte George und rieb sich erschöpft das Gesicht.
»Und doch müssen wir die Geduld und Demut aufbringen …«, setzte Alma abermals an, doch George fiel ihr ins Wort.
»Ihre arme Schwester«, sagte er. »Und dabei hat sie noch kleine Kinder im Haus. Lassen Sie mich bitte wissen, Alma, wenn ich irgendetwas tun kann, um Ihrer Familie zu helfen. Sie waren immer so freundlich zu uns.«
Kapitel 13
Ihre arme Schwester?
Nun, möglich war es … doch ganz so sicher war sich Alma dessen nicht.
Es war nicht eben einfach, mit Prudence Whittaker Dixon Mitleid zu empfinden, und geradezu unmöglich, sie zu verstehen, woran sich auch im Laufe der Jahre nichts geändert hatte. Am nächsten Tag dachte Alma, während sie auf White Acre ihre Mooskolonien begutachtete, lange über das Geschehene nach.
Die Eheleute Dixon gaben ihrer Umwelt wahrlich Rätsel auf! Im Übrigen handelte es sich hier um eine weitere Ehe, die alles andere als glücklich schien. Prudence und ihr ehemaliger Hauslehrer waren nun seit über fünfundzwanzig Jahren verheiratet und hatten sechs Kinder in die Welt gesetzt, und doch hatte Alma bei dem Paar nicht ein einziges Mal ein Zeichen von Zuneigung oder Eintracht erlebt. Auch hatte sie die beiden kaum jemals lächeln sehen, genauso wenig wie sie jemals Zeugin eines Zornausbruchs geworden war. Was war das nur für eine Ehe, bei der man in beflissenem Stumpfsinn jahrelang nebeneinander herlebte?
Das Eheleben ihrer Schwester hatte freilich schon immer Fragen aufgeworfen – angefangen mit jenem brennenden Geheimnis, das in Philadelphia seit Arthurs und Prudence’ Hochzeit den Klatsch und Tratsch befeuerte: Was war mit der Aussteuer geschehen? Henry Whittaker hatte seine Adoptivtochter anlässlich ihrer Hochzeit mit einer unerhörten Geldsumme beglückt, doch nichts deutete darauf hin, dass auch nur ein Penny davon jemals ausgegeben worden wäre. Die Dixons lebten wie Almosenempfänger von Arthurs kleinem Universitätssalär. Sie besaßen nicht einmal ein eigenes Haus. Auch gaben sie fürs Heizen kaum Geld aus. Da Arthur nichts von Luxus hielt, ließ er in seinem Heim eine spartanische, blutleere Strenge walten, die seiner eigenen, spröden Natur entsprach. In der Familie führte er ein Regiment der Enthaltsamkeit, Bescheidenheit, Gelehrsamkeit und Frömmigkeit, dem sich Prudence ungefragt unterworfen hatte. Vom ersten Tag ihres Gattinnendaseins an hatte Prudence auf jedweden Putz verzichtet und begonnen, sich beinahe wie eine Quäkerin zu kleiden: Flanell, Wolle, dunkle Farben, dazu schlichte Schutenhüte, wie sie unscheinbarer nicht hätten sein können. Kein Schmuckstück, keine Uhrkette, ja nicht einmal das kleinste Stückchen Spitze zierte ihre äußere Erscheinung.
Prudence’ Enthaltsamkeit beschränkte sich freilich nicht nur auf die Wahl ihrer Garderobe: Ihre Ernährung, die allem Anschein nach im Wesentlichen aus Maisbrot und Molassesirup bestand, war nicht minder genügsam. Nie sah man sie ein Glas Wein trinken, nicht einmal Tee oder Limonade. Die Kinder, die sich nach und nach einstellten, erzog Prudence zu einer ebenso kargen Lebensweise. Schon eine Birne, an einem Baum in der Nachbarschaft gepflückt, war ein Leckerbissen für ihre Jungen und Mädchen, die darauf gedrillt wurden, von verführerischeren Gaumenfreuden das Gesicht abzuwenden. Auch die Garderobe der Kinder entsprach selbstverständlich dem, wie sich Prudence kleidete: bescheiden und säuberlich geflickt. Prudence schien beinahe den Wunsch zu hegen, dass ihre Kinder ärmlich aussahen. Vielleicht waren sie ja wirklich arm, wenn es auch an und für sich keinen Grund dafür gab.
»Was zum Teufel hat sie mit ihren Kleidern angestellt?«, ereiferte sich Henry, sooft Prudence, wie in Lumpen gehüllt, zu
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