Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
Vom Netzwerk:
Besuch nach White Acre kam. »Hat sie ihre Matratzen damit gestopft?«
    Doch Alma hatte Prudence’ Matratzen gesehen: Sie waren mit Stroh gefüllt.
    Und so wurde in der Gerüchteküche von Philadelphia genüsslich darüber spekuliert, was Prudence und ihr Gatte mit der Whittaker’schen Aussteuer angestellt hatten. War Arthur Dixon ein Spieler, der mit Pferderennen und Hundekämpfen den ganzen Reichtum verprasst hatte? Hielt er sich in einer anderen Stadt eine zweite Familie, die im Luxus lebte? Oder hortete das Paar einen geheimen Schatz unvorstellbaren Ausmaßes, den sie hinter der ärmlichen Fassade versteckt hielten?
    Im Laufe der Zeit kam die Wahrheit ans Licht: Das gesamte Vermögen war für abolitionistische Ziele verwendet worden. Kurz nach der Hochzeit hatte Prudence den größten Teil ihrer Mitgift still und leise der Abolitionistischen Gesellschaft von Philadelphia übertragen. Das restliche Geld hatten die Dixons darauf verwendet, Sklaven freizukaufen, was mitunter über 1300 Dollar pro Leben kostete. So waren sie für den Transport mehrerer entflohener Sklaven ins sichere Kanada aufgekommen. Zudem hatten sie die Veröffentlichung unzähliger Pamphlete und Traktate finanziert. Und sie hatten sogar einen Verein gegründet, der Schwarze darin schulte, mit Argumenten für ihre Sache einzutreten.
    All diese Details waren im Jahre 1838 bekannt geworden, durch einen im Inquirer veröffentlichten Artikel über Prudence Whittaker Dixons absonderlichen Lebensstil. Nachdem ein aufgebrachter Mob eine Versammlungshalle von Sklavereigegnern niedergebrannt hatte, suchte die Zeitung nach interessanten, man könnte auch sagen kurzweiligen Geschichten über die abolitionistische Bewegung. Als sich ein prominenter Sklavereigegner lobend über die verschwiegene Großzügigkeit der Whittaker-Erbin äußerte, wurde ein Reporter auf Prudence Dixon aufmerksam. Die Neugier des Zeitungsmannes war sofort geweckt; schließlich stand der Name Whittaker in Philadelphia bis dato nicht gerade für das, was man gemeinhin als Großherzigkeit bezeichnet. Prudence’ strahlende Schönheit, die immer noch Aufmerksamkeit erregte, tat ein Übriges. Der Gegensatz zwischen ihrem betörenden Antlitz und ihrem kargen Lebensstil machte sie zu einem wahrhaft faszinierenden Thema. Der zarte Hals und die eleganten weißen Handgelenke, die aus groben, tristen Kleidern hervorlugten, verliehen ihr alle Attribute einer Königin in Gefangenschaft – Aphrodite, festgehalten im Kloster. Der Zeitungsmann hatte ihr nicht widerstehen können.
    Die Geschichte erschien auf der Titelseite mitsamt einem schmeichelhaften Porträt in Form eines Kupferstichs. Der Artikel lieferte größtenteils bereits bekannte Informationen über den Abolitionismus im Allgemeinen. Etwas anderes aber beflügelte die Phantasie der Leser: Aufgewachsen in den prunkvollen Hallen von White Acre, verkündete Prudence Dixon in aller Öffentlichkeit, dass sie sich und ihrer Familie seit Jahren jedweden Luxus versage, der durch Sklavenarbeit entstanden sei.
    »Es mag harmlos erscheinen, Baumwolle aus South Carolina zu tragen«, wurde sie zitiert, »doch das ist es nicht, denn es verschafft dem Bösen Einlass in unsere Häuser. Es mag ein argloses Vergnügen sein, unsere Kinder mit Zuckernaschereien zu verwöhnen, doch auch dieses Vergnügen wird zur Sünde, wenn der Zucker von Menschen erzeugt wurde, die man in unaussprechlichem Elend hält. Aus demselben Grund trinken wir in unserem Hause weder Kaffee noch Tee. Ich mahne alle Bewohner von Philadelphia, die über ein christliches Gewissen verfügen, es genauso zu halten. Wenn wir unsere Stimme gegen die Sklaverei erheben und uns zugleich an ihren verwerflichen Früchten erfreuen, sind wir nichts als Heuchler. Sollen wir glauben, dass der Herr lächelnd auf unsere Heuchelei herabschaut?«
    Einige Zeilen tiefer im selben Artikel ging Prudence noch weiter: »Mein Mann und ich wohnen in nachbarschaftlicher Nähe zu einer Familie. Es sind befreite Sklaven, ein guter, anständiger Mann namens John Harrington, seine Frau Ruth und ihre drei Kinder. Sie sind arm, ihr Leben ist ein einziger Kampf. Wir sorgen dafür, dass wir nicht in größerem Reichtum leben als sie. Wir sorgen dafür, dass unser Haus nicht schöner ist als ihres. Oftmals arbeiten die Harringtons Seite an Seite mit uns in unserem Haus, und wir arbeiten in ihrem. Seite an Seite mit Sadie Harrington schrubbe ich meinen Herd. Seite an Seite mit John Harrington schlägt mein Mann Holz.

Weitere Kostenlose Bücher