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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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sich kaum feststellen, doch sie machte keinen beunruhigten Eindruck.
    »Die Gärten sind entzückend«, fuhr sie fort.
    »Das finde ich auch«, erwiderte Alma.
    »Obwohl ich nicht mit ansehen kann, wie Blumen geschnitten werden.«
    »Aber Retta, wie kannst du so etwas Närrisches sagen! Einen Strauß frisch geschnittener Blumen liebst du doch über alles!«
    »Man bestraft mich für diese abscheulichsten Vergehen«, entgegnete Retta mit ruhiger Stimme.
    »Du wirst doch nicht bestraft, mein Vögelchen.«
    »Am allermeisten graut es mir vor Gott.«
    »Aber Retta! Gott hat dir gegenüber keinerlei Beschwerden!«
    »Ich werde von seltsamen Schmerzen in der Brust gepeinigt. Manchmal fühlt es sich an, als würde mir das Herz zerquetscht. Augenblicklich nicht, doch es kann jederzeit über mich kommen.«
    »Du wirst hier Freunde haben, die dir helfen können.«
    »Als ich ein junges Mädchen war«, fuhr Retta seelenruhig fort, als hätte sie Almas Worte gar nicht gehört, »habe ich oft kompromittierende Spaziergänge mit Männern unternommen. Hast du das gewusst, Alma?«
    »Sei still, Retta.«
    »Du brauchst mich nicht zum Schweigen zu bringen, George weiß das. Ich habe es ihm mehrmals gesagt. Ich habe diesen Männern gestattet, alles mit mir zu tun, wonach ihnen der Sinn stand, und ich habe mir sogar erlaubt, Geld von ihnen zu nehmen – obwohl ich dieses Geld niemals gebraucht habe, das weißt du ja.«
    »Still, Retta. Du sagst unvernünftige Dinge.«
    »Hast du dir jemals gewünscht, kompromittierende Spaziergänge mit Männern zu unternehmen? Ich meine, als du jung warst?«
    »Retta, bitte …«
    »Die Frauen in der Molkerei von White Acre taten es auch. Sie haben mir gezeigt, wie man Dinge mit Männern macht, und mir gesagt, wie viel Geld ich für meine Dienste nehmen sollte. Von dem Geld habe ich mir Handschuhe und Bänder gekauft. Einmal habe ich sogar ein Band für dich gekauft!«
    Alma verlangsamte ihre Schritte, um den Abstand zu George zu vergrößern. Sie wusste, dass er bereits alles gehört hatte. »Retta, du bist so erschöpft, du musst deine Stimme schonen …«
    »Hast du das denn nie getan, Alma? Ich meine, hast du dir niemals gewünscht, kompromittierende Dinge zu tun? Hast du denn nie diese verwerflichen Begierden in deinem Körper gespürt?« Retta umklammerte den Arm ihrer Freundin und suchte verzweifelt Almas Blick, bis sie resigniert in sich zusammensackte. »Nein, natürlich nicht. Du bist ja sittsam und gut. Prudence und du, ihr seid beide sittsam und gut. Aber ich bin der Teufel in Person.«
    Alma zerriss es das Herz. Ihr Blick fiel auf den breiten, gekrümmten Rücken von George Hawkes. Sie schämte sich zutiefst. Ob sie sich niemals gewünscht hatte, kompromittierende Dinge mit Männern zu tun? Oh, wenn Retta nur wüsste! Alma war eine achtundvierzigjährige, unverheiratete Jungfer mit ausgedörrtem Schoß, die dennoch mehrere Male im Monat den Weg in die Bindekammer fand. Viele Male sogar! Zudem waren die verbotenen Texte ihrer Jugend – Cum Grano Salis und all die anderen – in ihrer Erinnerung außerordentlich lebendig geblieben. Hin und wieder kramte sie sogar eins der Bücher aus den auf dem Heuboden versteckten Schrankkoffern, um es nochmals zu lesen. Wer, wenn nicht Alma, kannte sich aus mit verwerflichen Begierden?
    Sie spürte, dass es unmoralisch gewesen wäre, diesem kleinen, gebrochenen Geschöpf eine beruhigende, loyale Antwort zu verwehren. Sollte sie Retta etwa in dem Glauben lassen, sie wäre die einzige lasterhafte Frau auf der Welt? Doch wenige Meter vor ihnen ging George Hawkes, der gewiss alles hören konnte. So spendete Alma ihrer Freundin weder Trost noch Mitgefühl. Sie sagte nur: »Wenn du dich erst einmal in deinem neuen Zuhause eingerichtet hast, meine liebe kleine Retta, kannst du jeden Tag durch diese Gärten spazieren. Dann wirst du deinen Frieden finden.«
    •
    Auf der Rückfahrt waren Alma und George weitestgehend stumm.
    »Man wird sich gut um sie kümmern«, sagte Alma schließlich. »Dr. Griffon hat es mir persönlich zugesichert.«
    »Wir alle werden in ein Leben voller Ungemach hineingeboren«, gab George zur Antwort. »Es ist ein trauriges Los, überhaupt das Licht dieser Welt zu erblicken.«
    »Das mag vielleicht zutreffen«, erwiderte Alma vorsichtig, erstaunt über die Heftigkeit seiner Worte. »Und doch müssen wir die Geduld und Demut aufbringen, alle Beschwernisse, die sich vor uns erheben, durchzustehen.«
    »Ja. So lehrt man uns«, entgegnete

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