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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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Gedächtnis verloren, wobei er zu klug und zu höflich war, es sich in diesem Moment anmerken zu lassen. Banks beschäftigte sich tagtäglich mit einer atemberaubenden Menge an Informationen und trug ein erhebliches Maß an Verantwortung. Er beaufsichtigte nicht nur die Erweiterung der Gärten von Kew, sondern betreute und finanzierte auch unzählige botanische Expeditionen auf der ganzen Welt. Beinahe jedes Schiff, das in den Jahren nach 1780 in London eintraf, führte wenigstens eine Pflanze, einen Samen, einen Ableger oder eine Knolle für Sir Joseph Banks mit sich. Darüber hinaus war er Teil der feinen Gesellschaft und mischte bei allen wissenschaftlichen Neuerungen in Europa mit, von der Chemie über die Astronomie bis hin zur Schafzucht. Kurzum, Sir Joseph Banks war ein mehr als beschäftigter Gentleman, der in den letzten vier Jahren möglicherweise nicht ganz so viel über Henry Whittaker nachgedacht hatte wie Henry Whittaker über ihn.
    Nichtsdestotrotz gewährte er Henry, während er sich peu à peu an den Sohn seines Obstgärtners erinnerte, Einlass in sein Arbeitszimmer und lud ihn zu einem Glas Portwein ein, welches Henry ablehnte. Er bat den Jungen, ihm alles über die Reise zu erzählen. Natürlich wusste Banks bereits, dass die Resolution sicher in England eingetroffen war, und er hatte auch regelmäßig Mr Nelsons Briefe erhalten, doch Henry war der erste Teilnehmer, der – geradewegs dem Schiff entstiegen – leibhaftig vor ihm stand, und so hieß ihn Sir Joseph Banks platzend vor Neugier willkommen. Fast zwei Stunden redete Henry unter Preisgabe sämtlicher botanischer und persönlicher Details. Seine Schilderungen waren vielleicht nicht taktvoll, doch sehr – man muss schon sagen – offen, und genau das machte seinen Bericht so wertvoll. Als Henry fertig war, fühlte sich Banks hervorragend informiert. Er schätzte es, Dinge zu wissen, von denen andere nicht wussten, dass er sie wusste, und nun war er – lange bevor ihm die offiziellen, entsprechend aufbereiteten Logbücher vorlagen – bereits über alles im Bilde, was sich auf Cooks dritter Forschungsreise zugetragen hatte.
    Henrys Vortrag beeindruckte Banks. Er sah, dass Henry die vergangenen Jahre genutzt hatte, um die Botanik nicht nur zu studieren, sondern sich vollkommen zu eigen zu machen, und dass er nun das Potential besaß, ein erstklassiger Fachmann zu werden. Banks erkannte, dass er ihn an sich binden musste, ehe ihm andere den Jungen wegschnappten. Schließlich war Banks diesbezüglich selbst kein unbeschriebenes Blatt. Oft setzte er sein Geld und seinen Charme ein, um anderen Institutionen oder Expeditionen junge, verheißungsvolle Männer auszuspannen und sie in den Dienst der Gärten von Kew zu stellen. Und natürlich hatte auch er im Laufe der Jahre einige junge Männer verloren – von vermögenden Grundbesitzern auf sichere, lukrative Gärtnerposten gelockt. Aber den hier, das schwor sich Banks, den würde er nicht verlieren.
    Henry mochte schlechterzogen sein, doch das störte Banks nicht, wenn er nur kompetent war. Großbritannien brachte Heerscharen von Naturforschern hervor, allein die meisten waren Hohlköpfe und Dilettanten. Derweil benötigte Banks dringend neue Pflanzen. Er hätte sich gern selbst auf Entdeckungsreise begeben, litt indessen mit seinen fast fünfzig Jahren unter schrecklichen Gichtanfällen. Aufgedunsen und von Schmerzen gepeinigt, war er die meisten Stunden des Tages an seinen Schreibtischsessel gefesselt. Mithin musste er Sammler entsenden. Sie zu finden war jedoch nicht einfach. Es gab nicht so viele kräftige junge Männer, wie man sich hätte erhoffen können – junge Männer, die überdies bereit waren, für dürftige Gehälter in Madagaskar am Fieberfrost zu sterben, vor den Azoren Schiffbruch zu erleiden, in Indien von Banditen überfallen oder auf Grenada gefangen genommen zu werden oder einfach für immer in Ceylon zu verschwinden.
    Der Trick bestand darin, Henry das Gefühl zu vermitteln, dass er dazu auserkoren war, auf immer und ewig für Banks zu arbeiten. Er durfte dem Jungen keine Zeit lassen, die Sache abzuwägen oder sich von wem auch immer warnen zu lassen oder sein Herz an ein fesch gekleidetes Mädchen zu verlieren oder eigene Zukunftspläne zu fassen. Banks musste Henry davon überzeugen, dass seine Zukunft bereits beschlossene Sache war und den Gärten von Kew gehörte. Henry war ein selbstbewusster Bursche, doch Banks wusste, dass ihm die eigene Machtposition, sein Reichtum

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