Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
Dieben, Idioten und Übeltätern in Acht. Mach dir reichlich Notizen und lass mich wissen, in welchem Boden du welche Proben gefunden hast – Sand, Lehm oder Morast –, damit wir versuchen können, den Baum in Kew zu kultivieren. Sei geizig mit deinem Geld. Denk wie ein Schotte, Junge! Je weniger du dir jetzt gönnst, desto mehr kannst du dir in Zukunft gönnen, wenn du dir dein Vermögen erarbeitet hast. Bleib eisern gegenüber der Trunksucht, dem Müßiggang, der Melancholie und den Frauen. All dies kannst du später im Leben genießen, wenn du nutzlos und alt bist wie ich. Sei wachsam. Es ist besser, du lässt niemanden wissen, dass du ein Mann der Botanik bist. Schütze deine Pflanzen vor Ziegen, Hunden, Tauben, Federvieh, Insekten, Schimmel, Matrosen, Salzwasser …«
Henry hörte nur noch mit halbem Ohr zu.
Er würde nach Peru fahren.
Nächsten Mittwoch.
Er war ein Mann der Botanik, unterwegs im Auftrag des Königs von England.
Kapitel 3
Nach vier Monaten auf See landete Henry in Lima. Er fand sich in einer Stadt von fünfzigtausend Seelen wieder, einem kolonialen Vorposten, der buchstäblich am Hungertuch nagte: Spanische Familien von hohem Rang hatten dort häufig weniger zu essen als die Maultiere, die ihre Kutschen zogen.
Er traf allein ein. Ross Niven, der Leiter der Expedition (die im Übrigen nur aus Henry Whittaker und Ross Niven bestand), war unterwegs vor der Küste von Kuba gestorben. Der alte Schotte hätte diese Reise im Grunde niemals antreten dürfen. Er war schwindsüchtig und bleich und spuckte jedes Mal Blut, wenn er hustete, doch aus purem Eigensinn hatte er Banks die Krankheit verheimlicht. Niven hatte nicht einmal einen Monat auf See überstanden. In Kuba hatte Henry einen praktisch unleserlichen Brief an Banks geschrieben, in dem er ihm die Todesnachricht überbrachte und seiner Entschlossenheit Ausdruck verlieh, die Mission allein fortzusetzen. Er wollte nicht auf die Antwort warten. Er wollte nicht zurückgerufen werden.
Vor seinem Tod hatte sich Niven nützlicherweise noch die Mühe gemacht, Henry das eine oder andere über den Chinarindenbaum beizubringen. Um das Jahr1630 , so Niven, hatten jesuitische Missionare in den peruanischen Anden zum ersten Mal beobachtet, dass die Quechua-Indianer einen heißen Tee aus zerriebener Rinde tranken, um das mit Schüttelfrost verbundene Fieber zu kurieren, das die extrem kalte Höhenlage verursachte. Ein aufmerksamer Mönch hatte sich gefragt, ob diese bittere Rinde vielleicht auch das mit Schüttelfrost verbundene Malariafieber heilen würde, jene Krankheit, die in Peru nicht einmal existierte, in Europa hingegen seit Menschengedenken Almosenempfänger wie Päpste dahinraffte. Der Mönch schickte ein wenig Chinarinde nach Rom (die ganze Stadt war ein übler Malariasumpf), dazu einige Erklärungen, wie das Pulver anzuwenden sei. Wie durch ein Wunder stellte sich heraus, dass die Chinarinde dem verheerenden Wüten der Malaria tatsächlich Einhalt gebot – aus Gründen, die niemand verstand. Worin die Ursache im Einzelnen auch liegen mochte, diese Rinde konnte die Malaria offenbar vollständig heilen, noch dazu ohne nennenswerte Nebenwirkungen bis auf eine anhaltende Schwerhörigkeit, was kein hoher Preis fürs Überleben war.
Zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts war die Peruanische Rinde oder Jesuitenrinde die am häufigsten aus der Neuen in die Alte Welt exportierte Ware. Der Wert eines Gramms reiner Jesuitenrinde entsprach dem Wert von einem Gramm Silber. Sie war ein Heilmittel für Reiche, und es gab viele Reiche in Europa, von denen keiner an Malaria sterben wollte. Dann wurde Ludwig XIV. mit Jesuitenrinde geheilt, und die Preise schossen weiter in die Höhe. Venedig und China waren mit Pfeffer und Tee reich geworden, nun brachte die Rinde peruanischer Bäume den Jesuiten Wohlstand.
Allein die Briten hatten es nicht eilig, den Wert der Chinarinde zu erkennen, was vornehmlich an ihren antispanischen, antipäpstlichen Vorurteilen lag, jedoch auch an ihrer hartnäckigen Weigerung, Patienten mit dubiosen Pulvern zu behandeln, anstatt sie zur Ader zu lassen. Zudem war die Gewinnung des Wirkstoffs eine komplizierte Wissenschaft. Es gab um die siebzig Baumarten, und niemand wusste genau, welche Rinde die wirksamste war. Also musste man sich auf das Ehrenwort des Rindensammlers verlassen, in der Regel ein in sechstausend Meilen Entfernung weilender Indianer. Die Pulver, die man als »Jesuitenrinde« in Londoner Apotheken kaufen konnte
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