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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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– über geheime belgische Schmugglerwege ins Land gebracht –, waren häufig das Werk von Betrügern und somit wirkungslos. Nun hatte auch Sir Joseph Banks endlich Kenntnis von dieser Rinde erlangt und wollte mehr darüber erfahren. Das wollte auch Henry, der sich zum Leiter seiner eigenen Expedition ernannt hatte und künftige Reichtümer witterte.
    Bald streifte er von seinem rasenden Ehrgeiz getrieben durch Peru. Ross Niven hatte ihm vor seinem Tod drei vernünftige Ratschläge für Reisen durch Südamerika erteilt, die der junge Mann befolgte. Erstens: Trage niemals Stiefel. Härte deine Füße ab, bis sie wie Indianerfüße aussehen und auf die Fäulnis bringende Umklammerung von nassem Leder verzichten können. Zweitens: Verabschiede dich von deiner schweren Kleidung. Kleide dich leicht und lerne, wie die Indianer zu frieren. So bleibst du gesünder. Drittens: Bade wie die Indianer täglich in einem Fluss.
    Mehr wusste Henry nicht. Außer, dass Chinarinde lukrativ und in den hoch aufragenden Anden zu finden war, in einer abgeschiedenen Gegend von Peru namens Loxa. Er hatte kein Buch, keine Karte, ja nicht einmal einen Menschen, der ihm mehr hätte sagen können, also half er sich selbst. Was musste er nicht alles überwinden, um nach Loxa zu gelangen: Flüsse, Dornen, Schlangen, Krankheiten, Hitze, Kälte, Regen, spanische Behörden und – was wohl das Gefährlichste war – sein eigenes Gefolge aus mürrischen Maultieren, ehemaligen Sklaven und verbitterten Indianern, deren Sprachen, Ressentiments und Hintergedanken er nur allmählich zu erahnen begann. Barfuß und hungrig zog er weiter. Er kaute Kokablätter wie ein Indianer, um durchzuhalten. Er lernte Spanisch oder traf, um genauer zu sein, die einsame Entscheidung, dass er schon Spanisch sprach, die Leute ihn also auch verstehen konnten. Taten sie es nicht, brüllte er so lange auf sie ein, bis sie ihn doch verstanden. Schließlich erreichte er die Gegend von Loxa. Er fand und bestach die cascarilleros , die Rindenschneider, einheimische Indianer, die wussten, wo die guten Bäume standen. Er suchte weiter und fand Chinarindenbäume, die sogar noch versteckter lagen.
    Als Sohn eines Obstgärtners erkannte Henry rasch, dass die meisten Bäume in schlechtem Zustand waren, krank und Opfer jahrelangen Raubbaus. Bei manchen war der Stamm gerade mal so dick wie Henrys Taille, und das waren auch schon die kräftigsten. Er begann, die Bäume dort, wo die Rinde abgeschält worden war, in Moos zu packen, damit sie heilen konnten. Er schulte die cascarilleros darin, die Rinde in senkrechten Streifen abzuziehen, anstatt den Baum mit quer verlaufenden Einschnitten zu töten. Einige kranke Chinarindenbäume schnitt er massiv zurück, um das Wachstum zu fördern. Wenn er selbst krank wurde, arbeitete er nichtsdestotrotz weiter. Wenn er wegen einer Krankheit oder Infektion nicht laufen konnte, ließ er sich von den Indianern wie ein Gefangener ans Maultier binden, um seinen Bäumen dennoch den täglichen Besuch abzustatten. Er aß Meerschweinchen. Er schoss einen Jaguar.
    Vier elende Jahre blieb er barfüßig und frierend in Loxa, wo er mit barfüßigen, frierenden Indianern, die aus Dung Feuer machten, in einer Hütte schlief. Er hegte und pflegte die Chinarindenbäume, auf die er längst, auch wenn sie von Rechts wegen im Besitz der Spanisch-Königlichen Pharmazeutik waren, stillschweigend Anspruch erhoben hatte. Diese Gebirgsgegend war so abgelegen, dass er von keinerlei Spaniern behelligt wurde, und nach einer Weile brauchte er auch die Unterstützung der Indianer nicht mehr. Er fand heraus, dass Chinarindenbäume mit dunklerer Rinde offenbar ein wirksameres Heilmittel hervorbrachten als die anderen Spezies und dass junges Holz die Effizienz der Rinde noch steigerte. Intensiver Beschnitt war deshalb angeraten. Er machte neue Chinarindenarten ausfindig und gab ihnen Namen, sah die meisten jedoch als unbrauchbar an. Er konzentrierte sich auf die Art, die er Roja nannte, Rote Chinarinde, welche die ergiebigste war. Er pfropfte die Roja auf Wurzelstöcke von robusteren, krankheitsresistenteren Chinarindenarten, um größere Erträge zu erzielen.
    Außerdem dachte er lange nach. Ein junger Mann hat in der Einsamkeit eines hochgelegenen, abgeschiedenen Waldes sehr viel Zeit zum Nachdenken, und so entwickelte Henry hochfliegende Theorien. Vom verstorbenen Ross Niven wusste er, dass der Handel mit Jesuitenrinde Spanien jährlich zehn Millionen Reales einbrachte. Warum

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