Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
Vom Netzwerk:
sprechen, aber ohne Worte. Gestatten Sie mir den Versuch, Ihnen zu zeigen, was ich meine.«
    Dies war eine höchst erstaunliche Bitte.
    »Können wir denn nicht hier gemeinsam schweigen, Ambrose?«
    Er ließ seinen Blick durch die elegante, imposante Bibliothek schweifen. »Nein«, entschied er. »Das geht nicht. Der Raum ist zu groß, zu laut, mit all den toten Männern und ihren Wortgefechten. Bringen Sie mich an einen verborgenen, ruhigen Ort, wo wir einander hören können. Ich weiß, es klingt verrückt, aber das ist es nicht. Wenn es etwas gibt, dessen ich gewiss bin, dann dies: Um wahre Zwiesprache zu halten, müssen wir lediglich beide einwilligen. Ich glaube inzwischen, dass ich aus eigener Kraft nicht imstande bin, zu dieser wahren Zwiesprache zu gelangen, denn ich bin zu schwach. Doch seit ich Ihnen begegnet bin, Alma, fühle ich mich stärker. Lassen Sie es mich nicht bereuen, Ihnen bereits so viel von mir anvertraut zu haben. Es ist nur eine Kleinigkeit, die ich Ihnen abverlange, Alma, doch ich muss darauf beharren, denn ich sehe keine andere Möglichkeit, mich Ihnen zu erklären, und wenn ich Ihnen nicht zeigen darf, woran ich glaube, werden Sie mich immerfort für gestört oder närrisch halten.«
    »Nein, Ambrose«, protestierte sie, »ich wäre außerstande, so etwas zu denken …«
    »Sie tun es ja schon!«, fiel er ihr verzweifelt ins Wort. »Jedenfalls wird es irgendwann dazu kommen. Dann werden Sie mich bemitleiden oder verabscheuen, und ich verliere die Gefährtin, die mir das Liebste auf der Welt ist, und versinke in Kummer und Trübsal. Ehe wir diesen traurigen Markstein erreichen – falls es dafür nicht schon zu spät ist –, erlauben Sie mir, Ihnen zu zeigen, was ich meine, wenn ich sage, dass sich die Natur in ihrer Unendlichkeit über die Grenzen unserer sterblichen Vorstellungskraft hinwegsetzt. Gestatten Sie mir den Versuch, Ihnen zu zeigen, dass wir ohne Worte miteinander sprechen können. Ich glaube, zwischen uns fließt so viel Liebe und Zuneigung, dass wir dies vollbringen können, liebste Freundin. Ich hatte immer die stille Hoffnung, eines Tages jemanden zu finden, mit dem ich imstande wäre, schweigend zu kommunizieren. Seit ich Ihnen begegnet bin, Alma, ist meine Hoffnung erblüht, denn wir scheinen ein natürliches, mitfühlendes Verständnis füreinander zu haben, das über die profanen, gewöhnlichen Formen der Zuneigung weit hinausgeht … Ist es nicht so? Empfinden Sie nicht auch ein Gefühl der Stärke, wenn ich Ihnen nahe bin?«
    Das ließ sich nicht leugnen – aus Gründen des Anstands und Stolzes allerdings auch nicht eingestehen.
    »Was erwarten Sie von mir?«, war alles, was Alma einfiel.
    »Ich wünsche mir, dass Sie meinem Geist und meiner Seele lauschen. Und ich wünsche mir, Ihrem Geist und Ihrer Seele lauschen zu dürfen.«
    »Sie sprechen von Gedankenlesen, Ambrose. Das ist ein Gesellschaftsspiel.«
    »Nennen Sie es, wie Sie wollen. Ich glaube dennoch, dass sich ohne das Hemmnis der Sprache alles offenbart.«
    »Ich hingegen vermag so etwas nicht zu glauben«, erwiderte Alma.
    »Sie sind eine Frau der Wissenschaft, Alma – warum versuchen Sie es also nicht? Sie haben nichts zu verlieren, dafür aber die Aussicht auf eine neue Erfahrung. Um unser Ziel zu erreichen, benötigen wir jedoch einen Ort tiefster Stille. Einen Ort ungestörtester Ruhe. Bitte, Alma, es ist nur dieser eine Wunsch, mit dem ich an Sie herantrete. Führen Sie mich an den stillsten, verborgensten Ort, den Sie kennen. Lassen Sie uns dort den Versuch unternehmen, Zwiesprache zu halten. Gestatten Sie mir, Ihnen zu zeigen, was ich nicht zu erklären vermag.«
    Hatte sie eine andere Wahl?
    Sie führte ihn in die Bindekammer.
    •
    Nun hatte Alma vom Phänomen des Gedankenlesens durchaus schon gehört. Es schien sich hierbei um eine neue Mode zu handeln, und mitunter konnte sich Alma des Eindrucks nicht erwehren, dass in Philadelphia derzeit jede zweite Dame ein göttliches Medium war. Wo man auch hinsah, gab es Seelenbotschafter, deren Dienste man stundenweise in Anspruch nehmen konnte. Einige dieser Experimente schlugen sich sogar in den seriöseren medizinischen Fachzeitschriften nieder, was bei Alma blankes Entsetzen hervorrief. So hatte sie unlängst einen Artikel über das Thema des Pathetismus entdeckt – der Vorstellung, durch Hypnose Zufälle herbeiführen zu können, in ihren Augen eine Idee, die eher zur Jahrmarktsbelustigung taugte. Es gab Menschen, die derlei Dinge als Wissenschaft

Weitere Kostenlose Bücher